Gerhard Falkner: „Romeo oder Julia“

Gerhard Falkner, Spycher Preisträger Leuk des Jahres 2006, hat einen zweiten Roman geschrieben, der nun auch als Taschenbuch erhältlich ist. Bild: Gerhard Falkner mit Nora Matocza. (Foto: Kurt Schnidrig)

Bekannt geworden ist Gerhard Falkner als Lyriker. Zusammen mit seiner Frau Nora Matocza betätigt er sich auch als Übersetzer. Dem Übersetzer-Ehepaar war kürzlich eine konsequente Übersetzung von Rilkes „Quatrains Valaisans“, der Walliser Quartette, gelungen, die auch den Reim mit einbezieht. Falkner übersetzte auch Gedichte von Gerard Manley Hopkins, William Butler Yates und Charles Olson. Mit seiner Frau Nora Matocza zusammen arbeitete er zuletzt an einer deutschen Fassung von Mark Z. Danielewskis Kult-Roman Only Revolutions. Im Jahr 2016 gelangte Gerhard Falkners Romandebüt Apollokalypse auf die Longlist des Deutschen Buchpreises. Ein Jahr später wurde sein zweiter Roman „Romeo oder Julia“ für die Shortlist des Deutschen Buchpreises berücksichtigt. Das Buch ist nun auch als Taschenbuch erhältlich. (Gerhard Falkner: Romeo oder Julia. Roman, Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, München 2019, 266 Seiten).

Eine Literatur-Satire oder ein Mystery-Krimi? Der Protagonist in Falkners Roman „Romeo oder Julia“ heisst Kurt Prinzhorn. Sehen und gesehen werden, Hauptsache, man spricht von mir: Darum geht es Kurt Prinzhorn. Auf einem Literaturkongress in Innsbruck geniesst er den Auftritt auf dem Literatur-Markt der Eitelkeiten. Geht es nach Kurt Prinzhorn und Konsorten, dann handelt der heutige Literaturbetrieb kaum mit wohlgeformten Sätzen und debattierträchtigen Themen. Literarische Höhenflüge sind da kaum angesagt, dafür fliesst der Alkohol in Strömen und erotische Abschweifungen mit reizenden Damen verleihen dem öden Schriftstellerdasein den nötigen Pepp. Nebst dieser bitterbösen Satire auf den Literaturbetrieb läuft auch noch ein Mystery-Krimi im Hintergrund. Er sorgt dafür, dass für die Leserschaft die Spannung auf das Ende erhalten bleibt. Die Auflösung erfolgt nämlich unerwartet und recht spektakulär.

Hauptstory mit viel Geplänkel. Die Hauptstory, die den ausufernden Erörterungen, den mehr oder weniger gescheiten Traktaten und auch den epischen Verirrungen viel Raum zugesteht, beginnt in einem Innsbrucker Hotel. Schriftsteller Kurt Prinzhorn findet merkwürdigerweise eine ganze Menge fremder, langer Haare an seiner Seife. Hat sich da tatsächlich jemand in seiner Abwesenheit ein Bad eingelassen?

„Alles, was von ihr blieb, waren Haare. Haare, die so schwarz waren, als wären sie mit der gleichen Wimperntusche gefärbt gewesen, mit deren Hilfe sie im Laufe unseres kurzen, aber beherzten Techtelmechtels alle meine Kissenbezüge mit den abwechslungsreichen Mustern ihrer Wimpernstempel bedruckt hatte, denn Zeit zum Abschminken gab es vor dem letzten Ins-Bett-Fallen so gut wie nie.“

Gerhard Falkner: „Romeo oder Julia“, Seite 18.

Kommt dazu, dass auch Kurt Prinzhorns Schlüsselbund fehlt und auch seine Notizbücher. Trotzdem findet die Polizei keinerlei Spuren eines Einbruchs. Die Polizisten vermuten „Verwirrtheit“ bei Kurt Prinzhorn. Doch da liegen sie falsch. Als Kurt weiterreist nach Moskau, scheint ihm seine Stalkerin – alles deutet auf eine derart veranlagte Frau hin – zu folgen. Auf der Reise, die Kurt Prinzhorn schliesslich nach Madrid führt, verfolgt die rätselhafte Stalkerin den Schriftsteller auf eine unheimliche Art und Weise. In Madrid ist es dann zu Ende mit Prinzhorns Geduld und er nimmt die Verfolgung auf.

Füllsel oder gescheite Traktate? Über die Hauptstory legt der Autor ein undurchschaubares und teils auch wirres Geflecht von epischen Ausschweifungen und Anspielungen auf Bücher, Filme und Lieder. Die üppigen Querverweise und kulturellen Einsprengsel stehen oft zusammenhangslos da wie erratische Blöcke. Sie nehmen der Erzählung etwas den Schwung und vor allem auch die Detailspannung. Einiges kommt auch etwas abgeschmackt daher, besonders dann, wenn es prominent an den Anfang eines neuen Kapitels gesetzt wird.

„Das Glück und das Unglück liegen manchmal so dicht beieinander wie Anus und Vagina. Tür an Tür.“

„Romeo und Julia“, Einleitung zu Kapitel 9, Seite 222.

Ist sowas nun satirisch, ironisch oder gar lustig? Oder ist es ganz einfach abgeschmackt und fragwürdig? In „Romeo oder Julia“ finden sich allerdings auch jede Menge Anspielungen und Zitate aus literarischen Werken, die häufig phantasievoll umschrieben sind. Der Autor versteht es, die Irrungen und Wirrungen seiner Figuren mit reichhaltig gewürzten Metaphern bildlich darzustellen. Falkners Sprachwitz blitzt immer wieder mal wohltuend auf, so dass viele Banalitäten vergessen gehen. Dann etwa, wenn in Madrid die wie aus einem Reiseführer stammenden Ortsbeschreibungen dem Zwiegespräch Prinzhorns mit seiner langjährigen Freundin Elsa weichen.

„Romeo oder Julia ist kein rhetorisches oder. Nicht Wurst oder Käse, Regen oder Sonnenschein. Es ist ein existenzialistisches oder. Es ist ein oder, das einfach eine Entscheidung fordert zwischen den beiden Geliebten, die sie ursprünglich mal gewesen sind.“

Gerhard Falkner: „Romeo oder Julia“.

Die Geschichte eines irrwitzigen Stalkings ist in „Romeo oder Julia“ zweifellos mit viel Erzähllust dargeboten. Das Spiel mit Mythen und Elementen aus Krimi und Schauerroman und die Bezüge, Anspielungen und Konnotate auf künstlerische Werke erfordern einiges an Hintergrund-Wissen rund um den Kulturbetrieb. Immerhin lässt sich der Roman lesen als Künstlerroman, als Krimi, als dramatische Liebesgeschichte oder gar als Literaturbetriebssatire. Diese verschiedenen Lesarten ermöglichen einer breiten Leserschaft denn auch verschiedene Zugänge.

Persönliche Begegnung mit dem Übersetzerpaar Falkner / Matocza im vergangenen Herbst in Leuk. (Foto: Kurt Schnidrig)

Persönliche Begegnung. Im vergangenen Herbst durfte ich mit Gerhard Falkner und Nora Matocza ein hoch interessantes Gespräch führen über ihre Übersetzung von Rilkes „Quatrains Valaisans“. Rainer Maria Rilke hatte die Walliser Quartette im Spätsommer des Jahres 1924 auf Schloss Muzot ob Siders zu Papier gebracht. Gemäss dem Übersetzer-Paar Falkner/Matocza ist Rilkes grossartige und subtile Sprachmeisterschaft nicht zuletzt auch im Reim präsent. Rainer Maria Rilke verstieg sich zu den zauberhaftesten Metaphern über das Wallis, wenn er von seinen Wanderungen und Spaziergängen zurückkehrte. Voller Inspiration und Faszination verglich Rilke die Walliser Landschaft mit dem Schlusssatz einer Beethoven-Symphonie. Auf Rilkes Spuren begaben sich Gerhard Falkner und Nora Matocza, während sie seine „Quatrains Valaisans“ in die deutsche Sprache übersetzten. Diese Liebe zum literarischen Stoff, diese detailgenaue Arbeit des Recherchierens ist es wohl, die Gerhard Falkner auch als Romancier auszeichnet.

Wie arbeiten Gerhard Falkner und Nora Matocza? Hören Sie ein Gespräch, das ich mit Nora Matocza im vergangenen September führte. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig)

Text, Fotos und Radiosendung: Kurt Schnidrig