Über Wochen haben uns schreckliche Bilder aus Italien erreicht. Mit mehr als 30’000 Toten hat die Pandemie das Leben in vielen italienischen Städten zum Erliegen gebracht. „Die Schönheit Italiens wird nicht in Quarantäne bleiben“, sagte der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte bereits anfangs Mai. In den vergangenen Wochen ist uns Italien fremd und unheimlich geworden. Die Touristenströme blieben aus in diesem virenverseuchten Frühjahr 2020. Nun hat sich der Autor Thomas Steinfeld aufgemacht, um die Schönheiten Italiens nach der Pandemie wieder in ein helles Licht zu rücken. Thomas Steinfeld ist ehemaliger Feuilletonchef und Kulturkorrespondent der Süddeutschen Zeitung mit Sitz in Venedig. Sein Buch heisst „Italien. Porträt eines fremden Landes“.
Eine Reise durch Italien. Thomas Steinfeld führt uns in seinem zauberhaften Buch in 18 Kapiteln durch Italien, immer auf der Suche nach der typischen Italianità, nach verborgenen Landstrichen und wundervollen Örtlichkeiten. Wie der Dichterfürst Goethe, so schrieb auch Thomas Steinfeld auf, was ihn berührte und bewegte. Seine Italienreise führte ihn vom Piemont über Genua und Neapel bis nach Ligurien und in die Toskana. Mit seinem „Porträt eines fremden Landes“ wandelte Steinfeld auf den Spuren Goethes. „Kennst du das Land…“ gehört zu den bekanntesten Gedichten Goethes. Das Gedicht drückt die Sehnsucht aus, die viele von uns gegenüber Italien empfinden, oder zumindest empfunden haben.
„Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn, / Im dunklen Laub die Goldorangen glühn, / Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, / Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht? / Kennst du es wohl? / Dahin, dahin / Möcht‘ ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.“
Johann Wolfgang von Goethe
Goethe thematisiert diese unbeschreibliche Sehnsucht auf Sonne, auf die mediterrane Pflanzenwelt, auf Südfrüchte, aber auch auf blendend weisse Bauten aus Marmor und auf das zauberhafte italienische Lebensgefühl, auf die Italianità. Warum aber möchte Goethe mit seinem Geliebten nach Italien ziehn? Warum die männliche Form? Wer sich je mit Goethe befasst hat, der weiss, „Goethe und die Frauen“ ist einer der bestens erforschten Aspekte in der Biographie des Dichterfürsten. So handelt es sich auch beim „Geliebten“, der mit Goethe nach Italien ziehen soll, in Tat und Wahrheit um eine Geliebte. Zur Erklärung: Goethe lässt die Verse seine Romanfigur Mignon sprechen. Mignon ist ein junges Mädchen, das einer Gruppe von Tänzern und Gauklern angehörte. Mignon kommt in beiden Wilhelm-Meister-Romanen vor. Das französische Wort Mignon bedeutet: der Kleine, Herzige, Geliebte. Die weibliche Form wäre Mignonne. Warum hat Goethe aber die männliche Form gewählt? Seine Mignon sieht aus wie ein Knabe. Ob Goethe in seinem Gedicht an einen homosexuellen Liebling oder an eine Mätresse dachte, wie uns die Forschung belehren möchte, sei offen gelassen. Es geht wohl ganz einfach um die Sehnsucht eines jungen Menschen nach einem romantischen fernen Land.
Italien – ein „verwirrtes Land“. Nach der Pandemie ist in Italien nicht mehr viel so geblieben, wie es mal war. Das idyllische Italien müssen die Italienfahrer zurzeit mit dem Herzen suchen. Die Zeitung „La Repubblica“ hat kürzlich Italien als „Verwirrtes Land“ betitelt, als ein Land, das uns allen fremd geworden ist. Als ein Land auch, das sich von Europa im Stich gelassen fühlt. Viele Italienerinnen und Italiener fühlen sich immer weniger europäisch. Gut, gibt es Buch-Autoren wie Thomas Steinfeld. Sie schärfen unseren Blick auf das Ferien- und Sehnsuchtsland Italien mit seiner unübertrefflichen Atmosphäre, der Italianità.
Na dann, um mit Goethe zu sprechen: „Dahin, dahin, möchte ich mit dir, o mein(e) Geliebte(r) ziehn.“