Joanne Gattlen: Englische Übersetzung ihres Fantasy-Romans

Joanne Gattlens Fantasy-Roman wird bald auch in englischer Sprache erscheinen. Im Bild: Joanne Gattlen im Gespräch mit ihrem Lektor Kurt Schnidrig (Bildquelle: rro).

Ein Aufenthalt in den USA inspirierte Joanne Gattlen zu ihrem Fantasy-Roman „Meravella“. Sie betreute damals in einer Gastfamilie zwei Mädchen. Die Mädchen erzählten ihrer „Nanny“ Joanne immer wieder von ihren Begegnungen mit Feen. Die beiden Girls hatten gar einen Feengarten angelegt. Den Nachbarskindern überbrachten sie immer wieder neue Feen-Storys. Zu erfinden brauchten sie die Storys eigentlich gar nicht, denn sie konnten ja beobachten, was die Feen in ihrem Feengarten an Zauberhaftem vollbrachten. So ist es eigentlich nur logisch, dass Fantasy-Autorin Joanne Gattlen ihren Roman nun ins Englische übersetzt. „Für die Mädchen in den USA“, wie sie versichert.

Das Fantasy-Genre boomt. Sie hantieren mit magischen Schwertern, sie reiten auf Drachen, sie führen kämpferische Heerscharen an, sie weisen gestandene Rüpel und Krieger in die Schranken: Die Heldinnen der grossen Fantasy-Epen sind junge und bezaubernde Frauen. Unsere klein karierte Welt, spiessig und hoffnungslos, liefert dabei die ideale Bühne und die passenden Kulissen für die erotischen Protagonistinnen mit Herz. Sie erkämpfen sich ihren Platz in unserer armseligen Welt nötigenfalls auch mit List und mit dem Einsatz aller Waffen, die Frauen wie ihnen zur Verfügung stehen. Starke und machtvolle Frauen inszenieren monumentale Schlachten und brachiale Kämpfe. Ob sie dabei auch das überkommene Frauenbild, das Bild der Frauen als „das schwache Geschlecht“, korrigieren können, ist allerdings fraglich. Zu extrem und zu provokativ schwappt die aktuelle Fantasy-Welle auch auf unseren Kontinent über. Joanne Gattlens „Meravella“ verweigert sich dieser brachialen Fantasy-Welle. Ihre Welten sind bevölkert von Feen, und sie sind verankert im mythischen Denken. Joanne Gattlen lässt leise, philosophische und kluge Töne erklingen.

Mit „Meravella“ öffnet Joanne Gattlen eine neue Tür zum mythischen Denken. (Foto: Kurt Schnidrig)

Die Rückkehr zum Mythos. Fantasy-Literatur zeigt uns Möglichkeiten zur Flucht aus einem grauen und oftmals lieblosen Alltag auf. Als eigenes Literaturgenre entstand Fantasy erst im 20. Jahrhundert. Als ihr Begründer gilt J.R.R. Tolkien („Der Herr der Ringe“). Mit seinen Werken löste er in den späten 1960er-Jahren einen ersten Fantasy-Boom aus. Viele Autoren nahmen sich Tolkien als Vorbild. In diesen Kanon stimmt auch die Jungautorin Joanne Gattlen mit ein. Allerdings geht Joanne Gattlen viel weniger weit als Tolkien, insbesondere was ihre rührend sparsame Einführung von phantasievollen Settings und auch von phantastischem Personal in ihrem Roman anbelangt. Joanne Gattlen hebt sich mit „Meravella“ wohltuend vom Kanon all jener Autoren ab, die im Gefolge von Tolkien diesen noch zu überbieten versuchten, ich denke dabei etwa an Marion Zimmer Bradley und Stephen R. Donaldson in den 1970er-Jahren, Terry Brooks und Raymond Feist in den 1980er-Jahren.

Die neue Fantasy-Welle. Zweifellos erfreut sich Fantasyliteratur wachsender Beliebtheit. Das Genre hat sich in den vergangenen Jahren erfolgreich gegen den Vorwurf des Trivialen gewehrt. Der Vorwurf, dass Fantasy eine vereinfachend strukturierte Gesellschaft darstellt und somit die gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Realitäten und Probleme unserer Zeit ausblendet oder verdrängt, ist unüberhörbar. Diesen Vorwurf müssen sich auch noch viele moderne Fantasy-Storys unserer Tage gefallen lassen. Zeitgenössische Fantasy greift aber zunehmend und immer häufiger auch aktuelle Fragestellungen auf wie Krieg, Nationalismus und religiöser Extremismus. Heute sind es vor allem junge Frauen, die für Harry-Potter-Bücher und -Filme sowie Herr-der-Ringe-Verfilmungen schwärmen. Aus den USA schwappte zudem in den 2000er Jahren eine wahre Fantasywelle auf Europa. Die Neuverfilmungen der Chroniken von Narnia oder die Buchreihen Percy Jackson und Eragon waren die Auslöser dieser Fantasywelle, auf der nun auch Joanne Gattlens „Meravella“ balanciert.

Mit „Meravella“ wagt Joanne Gattlen eine Rückkehr in die Frühromantik. (Foto: Kurt Schnidrig)

Fantasyliteratur ist All-Age-Literatur. Auf der aktuellen Fantasy-Welle reiten wilde Frauen, jung, schön, sexy und ehrgeizig. Zumindest in der Fantasy-Literatur hat die Weiblichkeit die Macht für sich entdeckt. Gross angesagt sind etwa die Hexer-Romane eines Andrzey Sapkowski, seine Renner auf dem Buchmarkt sind „Der letzte Wunsch“ oder „Das Erbe der Elfen“. Soeben erschienen ist der All-Age-Roman „Cursed. Die Auserwählte“ von Thomas Wheeler. Dieser Roman ist konzipiert als sogenannte Transmedia-Erzählung. Das heisst, parallel zum Roman mit Buchdeckeln schreibt der Autor Thomas Wheeler das Drehbuch zu einer TV-Serie, die man auf Netflix herunterladen kann. Der Autor entwirft also für seinen Roman zusätzlich auch noch eine visuelle Welt. Ein Einwand gegen derartige Transmedia-Erzählungen lässt sich jedoch nicht von der Hand weisen: Es fehlen Figuren mit einem Innenleben, sie sind oftmals einfach schön oder schaurig zum Anschauen, aber sie machen keine Entwicklung durch. Transmedia-Erzählungen weisen viel Atmosphäre und Action auf, sie sind seriell und voller Technologie. Und vor allem: Immer noch sind Sex, Intrigen und blutige Schlachten verantwortlich für deren Erfolg. Ganz anders geht Joanne Gattlen in „Meravella“ zu Werke. Sie wagt eine Rückkehr zu den Anfängen der Fantasy-Literatur, zurück in die Frühromantik.

Zurück in die Zeit der Phantastik. Joanne Gattlens „Meravella“ wagt einen mutigen Rückzug zu den Anfängen der Fantasyliteratur. Sie teilt die philosophisch motivierte Begeisterung für übersinnliche Welten, so wie sie in der Zeit der Phantastik des 19. Jahrhunderts gelebt wurde. Damals entstanden Volksmärchensammlungen, Kunstmärchen und Bildungsromane mit phantastischen Komponenten, denen sich „Meravella“ nahtlos anschliesst. Im 19. Jahrhundert nahmen Autoren wie Novalis („Heinrich von Ofterdingen“), Ludwig Tieck („Die Elfen“) und Friedrich de la Motte-Fouqué („Undine“) strukturell und inhaltlich wesentliche Elemente der Fantasy-Literatur vorweg. Besonders der zentralen Forderung nach einer romantischen Universalpoesie, die eine Vermischung der literarischen Gattungen zulässt, folgt auch Joanne Gattlens Fantasyroman „Meravella“. Ihr Werk lässt sich aufgrund des Personals (realistisch handelnde Menschen in Zusammenspiel mit Feen) dem Schreibstil eines Ludwig Tieck und dessen Hauptwerk „Die Elfen“ zuordnen.

Joanne Gattlen ist bald wieder auf der Litera(Tour) mit dem Club 73: Noemi Schnydrig, Kurt Schnidrig, Joanne Gattlen und Sieglinde Kuonen-Kronig werden wieder Gastautoren und Überraschungsgäste empfangen.

Englische Übersetzung von „Meravella“. Schon bald kann die Litera(Tour) des Club 73 fortgesetzt werden. Mit dabei auch Joanne Gattlen mit „Meravella“. Zum Sommerende soll die englischsprachige Fassung vorliegen. Welche Hürden gilt es zu nehmen, um den Fantasyroman in eine englischsprachige Fassung zu übersetzen? Eine wörtliche Übersetzung sei nicht erstrebenswert, verrät Joanne Gattlen. Der Wortlaut müsse anders konzipiert und viele Redewendungen dem angelsächsischen Sprachgebrauch angeglichen werden. Eine anspruchsvolle und äusserst motivierende Übersetzungsarbeit sei das, verrät uns die angehende Betriebsökonomin. Man darf gespannt sein.

Hören Sie einen Ausschnitt aus dem Gespräch, das ich mit Joanne Gattlen über ihren Fantasyroman „Meravella“ geführt habe. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig).
Die grossen Fantasy-Epen der Gegenwart – worum geht’s? (Quelle: rro / Kurt Schnidrig / Petra Imsand)

Text, Fotos und Radiosendung: Kurt Schnidrig