An kreativen Ideen für eine flammende 1. August-Rede fehlt es unseren derzeit besten und bekanntesten Schweizer Literat*innen mit Bestimmtheit nicht. Was verbindet sie mit der Schweiz? Ich habe mich in ihren aktuellen Werken auf die Suche gemacht nach typisch schweizerischen Anliegen.
Lukas Bärfuss. Seit der Auszeichnung mit dem Georg-Büchner-Preis, dem wichtigsten deutschen Literaturpreis überhaupt, ist der Thuner Lukas Bärfuss für ein breites Publikum zu einer literarischen Grösse aufgestiegen, die nahtlos an den kritischen Geist eines Max Frisch anknüpfen kann. Unser Land braucht Literaten mit kritischem Geist. Im Herbst letzten Jahres feierte sein populärstes Theaterstück „Die sexuellen Neurosen unserer Eltern“ an einem Theater für junges Publikum in Hamburg die Premiere. Die Protagonistin Dora empfindet die sexuelle Befreiung als ein Ausbruch aus allzu wohlbehüteter Umgebung. Dora brüskiert die moralinsaure Erwachsenenwelt und entlarvt deren Doppelmoral. – Ein Pamphlet gegen Helikopter-Eltern und für mehr Lebenslust.
Alex Capus. Der Oltener Schriftsteller lebt auch beim Schreiben die typisch schweizerischen Eigenschaften. Er ist fleissig, präzise und sagt geradeheraus, was er denkt. Obwohl ein gebürtiger Franzose, hat er die helvetischen Eigenheiten inzwischen verinnerlicht. Das Leben ist gut. Und so heisst auch einer seiner Romane.
Rolf Hermann. Beim Walliser Rolf Hermann sind es die rasanten Slam-Texte, in denen auch die Walliser Sagen ihren Platz haben. Seine Bücher erinnern an die Steilhänge des Walliser Tales, die uns manchmal auch die Luft zum freien Atmen nehmen. Um mit Rolf Hermann zu sprechen: „Das Leben ist ein Steilhang“. Als Folge davon ist die Auswanderung und Abwanderung aus den Berggebieten eine andauernde Thematik und Problematik.
Christine Jäggi. Es ist die gut schweizerische Mischung, welche die Werke der Luzernerin Christine Jäggi mit viel Phantasie anreichert. Jäggis Mélange besteht aus Liebes- und Familiengeschichten, die sie mit Kriminalfällen und mit historischen Begebenheiten aufmischt. Zum Beispiel in „Das Geheimnis der Muschelkönigin“. Ein Schweizer Cocktail, der richtig gut mundet.
Rolf Dobelli. Er beherrscht als typischer Schweizer die „Kunst des klaren Denkens“. Gerne nimmt Rolf Dobelli beim Schreiben eine schweizerische Untugend ins Visier: Unsere tägliche Selbsttäuschung.
Blanca Imboden. Zurzeit tourt sie mit ihrem Altersheimroman „heimelig“ durch das Land. Ihr Vater ist Ausserberger, sie selber ist in Ibach im Kanton Schwyz geboren. Während ihrer Recherchen für „heimelig“ habe sie erfahren, wie Sparprogramme, Personalnotstand und Reglementierungen das Leben für die Pflegenden immer schwieriger machen, erklärt sie. Das sind Themen, die unser Land gerade auch in Corona-Zeiten bewegen.
Charles Lewinsky. Er wird auch schon mal als das Aushängeschild der Schweizer Literatur betitelt. Mit seinen Sitcoms „Fascht en Familie“ und „Fertig Lustig“ hat er den schweizerischen Bünzligeist bestens karikiert. In seinem Roman „Andersen“ bekommt ein Mensch eine zweite Chance und wird wiedergeboren. Nur: Schweizer bleiben Schweizer. Mit einem zweiten Leben können sie nicht viel anfangen.
Claude Cueni. Er beglückt uns via Fernsehen mit Serien wie „Tatort“, „Eurocops“ und „Cobra 11“. In „Script Avenue“ erzählt Claude Cueni seine eigene Krankengeschichte. Dies tut er mit Schweizer Tugenden wie Humor und Selbstironie.
Arno Camenisch. Sein Büchlein „Der letzte Schnee“ avancierte zum „Lieblingsbuch des Deutschschweizer Buchhandels“. In seinem Werk „Herr Anselm“ erzählt er die Geschichte von einem langjährigen Schweizer Schulhaus-Abwart, der seine Arbeitsstelle verliert. Mangels Kindern droht „seinem“ Schulhaus die Schliessung. Mit seinen tragikomischen Geschichten begibt sich Arno Camenisch in die Spur von Friedrich Dürrematt, eines Urgesteins der Schweizer Literatur.
Franz Hohler. Mit seinen Ein-Mann-Programmen ist der Bieler Franz Hohler durch fast alle Länder getourt. Er gilt als einer der bedeutendsten Schweizer Erzähler. Als Kabarettist hat er die Schweiz und die Schweizer oft genug schon durch den Kakao gezogen. Aber wir nehmen es ihm nicht übel, denn „Äs si alli so nätt“, gell lieber Franz.
Joël Dicker. Er lebt nach dem berühmten Schweizer Sprichwort: „In der Ferne muss beginnen, was leuchten soll im Schweizerland“. Er ist ein Spezialist im Recherchieren. Mit seinem Buch „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ landete er in Frankreich eine literarische Sensation. Wir warten auf seine Rückkehr in helvetische Gefilde.
Peter Stamm. So einfach, klar und schnörkellos wie er schreibt sonst keiner. Der Thurgauer Peter Stamm thematisiert in seinen Romanen oft menschliche Beziehungen. Leider findet er nicht immer einen Ausweg aus dem Beziehungschaos. So zum Beispiel im Roman „Weit über das Land“, dem er das Motto voranstellt: „Wenn wir uns trennen, bleiben wir uns“. Wahrlich, ein Schweizer Realist!
Michael Theurillat. Von einigen Rezensenten wird er mit dem Attribut „Bester Krimi-Autor der Schweiz“ bedacht. Als typischer Schweizer war der Basler zuerst ein Top-Banker, bevor er die Machenschaften rund um den Schweizer Franken auch in Romane kleidete. Sein bester Krimi trägt den Titel „Rütlischwur“ – und wird damit zum Vorzeige-Buch für den 1. August.
Martin Suter. Gerne setzen wir uns zu ihm in seine „Business Class“. Der Zürcher Martin Suter kommt aus der Schweizer Werbebranche und er weiss, was die Eidgenossen brauchen. Früher musste er sich auf Ibiza oder nach Guatemala flüchten, um von der Muse geküsst zu werden. Jetzt hat er sich in die Schweiz zurückgezogen. Recht so! Was ein rechter Schweizer ist, der weiss, wo seine Wurzeln sind.
Pedro Lenz. Der Langenthaler redet und schreibt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Seine Mundart verhilft ihm zu ungeahnten literarischen Höhenflügen, so etwa als durch die Luft fliegender Torwart in „Der Goalie bin ig“.
Milena Moser. Sie weiss, wie man kaputte Beziehungen kittet. Und weil auch in der Schweiz mittlerweile jedes zweite Paar auseinandergeht, ist die Expertin für „Gerbrochene Herzen“ gefragt, denn so heisst einer ihrer Romane, mit dem sie den Durchbruch schaffte. Nun lebt sie in Santa Fe (USA), denn „Das Glück sieht immer anders aus“, so heisst ihr autobiographischer Roman.
Nun hoffe ich, dass etwaige 1-August-Redner*innen aus einem reichen Fundus von literarisch aufgearbeiteten Themen schöpfen können. Bei so viel Swissness fällt mir als Schweizer Blogger und Literaturexperte zum Schluss noch die Ehre zu, Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, einen gefreuten und patriotischen Nationalfeiertag zu wünschen.
Text und Fotos: Kurt Schnidrig