Sharon Dodua Otoo ist ghanaischer Abstammung und 1972 in London geboren. Sie ist Aktivistin, Autorin und Herausgeberin. Ihr literarisches Werk ist beeinflusst vom Magischen Realismus und vom Afrofuturismus. Sie schreibt über Themen wie „Beziehung“, „Identität“ und „Empowerment“. Am Literaturfestival Leukerbad las sie aus ihrem neusten Roman. Er trägt den Titel „Adas Raum“. (Sharon Dodua Otoo: Adas Raum. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021. 320 Seiten.)
„Adas Raum“ ist ein Roman, der nicht nur über eine einzige Protagonistin verfügt. Denn Ada ist nicht nur eine Frau, Ada verkörpert mehrere Frauen. Die Figur der Ada irrlichtert durch die Jahrhunderte. „Adas Raum“ ist in Otoos Roman ein Bordellzimmer im Konzentrationslager Mittelbau-Dora. Dort missbrauchen Hitlers Schergen der SS-Geheimpolizei die Gefangene Ada so häufig, dass ein Bordellzimmer mit „Adas Raum“ angeschrieben wird. Doch „Adas Raum“ weitet sich, räumlich wie zeitlich, denn „Adams Raum“ geistert durch die Jahrhunderte. Für den Leser wird überdeutlich: Frauen wie Ada gab es schon viel früher, und Frauen wie Ada wird es immer geben. Damals, im 15. Jahrhundert, muss Ada mit ansehen, wie die Europäer in ihr Land eindringen und wie sie ihre schwarzen Mitmenschen versklaven und verschleppen. Später, im 19. Jahrhundert, taucht Ada, verkörpert in der Person der britischen Mathematikerin Ada Lovelace, wieder auf. Und ganz zum Schluss ist dann Ada wieder eine junge „Schwarze“ Frau, die wir auf Wohnungssuche durch das heutige Berlin begleiten.
„Viel zu oft hatte ihr Körper sie verraten, bevor Ada überhaupt den Mund aufmachen konnte. Und es kostete sie jedes Mal noch ein bisschen mehr Kraft, den Riss in ihrem Hals zu spüren. Es schnitt jedes Mal ein wenig tiefer, immer an der gleichen Stelle. Und irgendwann reichte es. Sich aus erniedrigenden Situationen zu lösen, war keine Unterwürfigkeit von Ada. Das war Widerstand.“
Aus: „Adas Raum“ von Sharon Dodua Otoo
Die jahrhundertelange Unterdrückung von schwarzen Frauen durchzieht wie ein roter Faden das Werk der Autorin Sharon Dodua Otoo. Wie lässt sich die Geschichte unterdrückter Frauen erzählen, ohne dass diese selbst das Wort ergreifen müssen? Die Autorin Otoo bedient sich einer höchst spannenden literarischen Technik, der Multiperspektivität. Die unterdrückten Frauen treten in ihrem Werk nicht selbst als Erzählerinnen auf, es sind Gegenstände, die in die Rolle von Erzähler*innen schlüpfen. Die Gegenstände präsentieren sich in immer neuen Formen. Da erzählt einmal ein Besenstiel von Unterdrückung und Leid. Ein andermal ist es ein Türklopfer im viktorianischen England, der von Mord und Femizid berichtet. Damit vermeidet die Autorin, dass sie die Männer, die wahren „Täter“, in den Zeugenstand bitten muss. Immer sind es bei Otoo nämlich die Männer, welche mit ihren hinterhältigen Aktionen die Frauen scheitern lassen. Otoos Roman vermittelt damit ein glasklares Gesellschaftsbild, in dem durchwegs die Männer die Täter und die Frauen die Opfer sind.
Ein aussergewöhnliches Erzählprojekt ist „Adas Raum“. Ein Erzählprojekt nämlich, in dem Gegenstände „Ich“ sagen. Ein Erzählprojekt aber, das trotzdem kein Fantasy-Cartoon ist, sondern ein Zeugnis von menschlicher Abartigkeit und von patriarchalischer Unterdrückung. Kurz: ein grossartiger Roman über Schwarze und Weisse, über die Geschlechter, über Vorurteile und über Gerechtigkeit. Sharon Dodua Otoo, die Ingeborg Bachmann-Preisträgerin, erzählt von Frauenleben, dominiert von Männergewalt. Es ist dies das Erzählprojekt einer Autorin, die zugleich Aktivistin ist. Otoo besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft und ist aktiv bei der „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“, im sogenannten ISD-Bund. In ihren journalistischen Beiträgen befasst sie sich insbesondere mit politischen Fragen des Feminismus und des Weiss-Seins. Kann Literatur, können Romane unsere Gesellschaft moralisch stärken und aufrüsten? Sharon Dodua Otoo fordert mehr Diversität im deutschsprachigen Literaturbetrieb, dazu gehört ein gesellschaftlicher Auftrag. Auch wenn ihre Sicht von Rassismus und von sexueller Selbstbestimmung zuweilen etwas plakativ und wenig ausgewogen ausfällt, auch wenn Sharon Dodua Otoo historische Tatsachen recht eigenwillig umschreibt und verbiegt, ist ihr Engagement für eine bessere Gesellschaft für den deutschsprachigen Literaturbetrieb zweifelsfrei ein grosser Gewinn.
Text und Foto: Kurt Schnidrig