Beim „Aabäsizz“ mit Gioco und Tony

Gioco und Tony laden immer wieder mal gerne zum „Aabesizz“ und erzählen von guten und bösen Geistern. (Bild: zvg)

Der „Aabäsizz“ oder auch „Aabesitz“ geht zurück bis in jene Zeit, als das Fernsehen und all die anderen lauten Medien noch nicht in unseren Stuben Einzug gehalten hatten. In den Walliser Dörfern traf man sich in abendlicher Runde, um den harten Bergbauern-Tag mit einem gemütlichen Feierabend ausklingen zu lassen. In gesellschaftlicher Runde, an der nicht selten das halbe Dorf teilnahm, wurden Geschichten und Sagen erzählt oder auch von eigenen Erlebnissen geschwärmt.

Tony Lagger und Bernhard „Gioco“ Schmid haben bereits seit längerer Zeit Sagen, Gedichte und „Zelletä“ gesammelt, vorgetragen und auch in einem wunderschönen und gediegenen Buch herausgegeben. Das Werk „Hinä gää mär z Aabäsizz“ ist thematisch gegliedert. Jedem Gedicht ist eine zum Inhalt passende Einführung vorangestellt. Selbstverständlich sind alle Gedichte im besten und schönsten Gommerdialekt verfasst. Gegenüber auf der rechten Seite kann eine hochdeutsche Übersetzung zu Rate gezogen werden, falls es immer noch irgendwelche Erdenbürger geben sollte, die des prächtigen Gommerdialekts nicht mächtig sein sollten. Themenzentrierte Sagen mit Hintergrundinformationen stellen die beiden Buchautoren gekonnt in einen passenden Rahmen. Die Sagen, welche in „Standarddeutsch“ abgefasst sind, können mittels eines QR-Codes auch in der Dialektfassung abgehört werden. Es ist dies ein authentisches, unverfälschtes und originales Walliserdeutsch – ein wahrer Ohrenschmaus! Parallel zum Buch haben die beiden Autoren auch noch eine Webseite aufgeschaltet, auf der sämtliche Sagen und Gedichte ebenfalls abgehört werden können. Die Seitenzahl im Buch entspricht dem Dateinamen auf der Liste mit den Aufnahmen. Also zum Beispiel www.aabäsizz.ch/23 (Gedicht „Gratzug über dem Goms“, Seite 23).

„Wa d Bäärgä i nä finschtärä Himmel schich schtreckänt, / da ischt i när Nacht ds Riich va dä Geischtär. / Wa d Wolchä di obärschtä Schpizzä värdekkänt, / da ämbrüf lüägt mä mit Angscht us verschlossänä Pfeischtär.“

Der Anfang zu „Graatzug ubär däm Goms“ aus dem Buch „Hinä gää mär z Aabäsizz“, Seite 23

„Totenzug und Geisterzug sind Begriffe für jene unergründlichen Ereignisse in den Bergen, deren Geheimnis oft auch im Gletscher liegt“, ist der beigefügten Erklärung zu entnehmen. In den Walliser Sagen geistern die Seelen der Verstorbenen, die auf dieser Welt noch Abbitte für Verfehlungen leisten müssen, als Gratzug oder als Totenprozession durch unsere Dörfer und Landschaften.

Wenn Gioco und Tony am „Aabesizz“ von guten und bösen Geistern erzählen und singen, ziehen sie ihr Publikum unwiderstehlich in ihren Bann.

Unglaublich und unnachahmlich, was die beiden Gommer an ihrem „Aabäsizz“ bieten! Sie nehmen uns mit auf eine poetische und sagenhafte Reise durchs Land am jungen Rotten. Unheimliches, Spannendes und auch Kurioses erwartet uns. Da erzählen die Beiden zum Beispiel von der winterlichen „Guggsä“. Das ist der eisige Grimsler Wind. Oder wir lassen uns auf einer Fantasiereise zusammen mit den beiden Sagen-Erzählern nieder an tosenden Wildbächen in den urtümlichen Gommer Seitentälern. Mit ihren Geschichten, Sagen und Gedichten in archaischer Gommer Mundart erfahren wir auch viel Interessantes über den Alltag und über die Traditionen in früherer Zeit.

Beim Lesen und Hören der Geschichten im Buch „Hinä gää mär z Aabäsizz“ läuft es einem heiss und kalt den Rücken runter („gäänt eim di Griimä“).

Im Banne der Spukgeschichten. Die schauderhaften Erzählungen bescheren beim Lesen „Hühnerhaut pur“. Besonders wenn der „Gioco“ (so darf Bernhard Schmid von allen gerufen werden) und Tony vom Gratzug erzählen, von den armen Seelen im Gletscher und von den gruseligen Totentänzen, dann „fährt das ungemein ein“, wie auch Jugendliche staunend und ergriffen zugestehen müssen. Tony Lagger ist in Reckingen geboren und hat daselbst auch seine Jugendjahre verbracht. Nach einer Sekundarlehrer-Ausbildung hat er in verschiedenen Oberwalliser Gemeinden unterrichtet, bis er schliesslich das Amt eines Schulleiters im Luzernischen annahm. Bernhard „Gioco“ Schmid ist diplomierter Sozialarbeiter und Heimerzieher. Er wechselte dann in die Gastronomie und eröffnete zusammen mit seiner Frau das Hotel „Glocke“ in Reckingen. Heute wird die „Glocke“ geführt von seinem Sohn mit Familie. In der „Glocke“ erzählt Gioco während der Saison in der Regel einmal pro Woche von guten und bösen Geistern. Sein „Aabäsizz“ ist ein Ritual, eine Legende.

Hören Sie den Podcast aus der Sendung Literaturwelle zum „Aabäsizz“ mit Gioco und Tony. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig / Joel Bieler)

Text und Radiosendung: Kurt Schnidrig