Eva Menasse, geboren 1970 in Wien, war Redakteurin bei der FAZ, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sie begleitete den Prozess um den Holocaust-Leugner David Irwin in London. In ihrem Erzählband „Lässliche Todsünden“ vereinigt sie Geschichten von Lebens- und Beziehungskrisen. Im Zentrum stehen Paare, die sich das Leben gegenseitig schwer machen. Bei einigen dieser Geschichten scheitert allerdings der Versuch, eine Beziehung zum Titel, zur Todsünde also, herzustellen. Eva Menasse erhebt die Trägheit, die Gefrässigkeit, die Wollust, den Zorn, den Hochmut, den Neid und die Habgier zu Todsünden.
Die lässliche Todsünde „Neid“ verpackt Eva Menasse in eine Geschichte, deren Protagonist ein angesehener und beliebter Professor ist. Durch einen Autounfall hat er seinen Sohn Percass verloren. Dieser stammt aus einer ersten Ehe mit Ulla, „einer furchterregend schönen Person“. Die Ehe mit Ulla, mit dieser „Domina mit Madonnenblick“ wurde jedoch geschieden. Nebst materiellen Werten übernahm Ulla nach der Scheidung auch Eduard, den Assistenten ihres Mannes. Ulla zog sich in der Folge immer mehr zurück, und die Leute wunderten sich, was „die tausendschöne Frau Haybach“ wohl mit dem Assistenten ihres ehemaligen Mannes anzustellen gedenke. Bei der Beerdigung des verunfallten Sohnes Percass leitete Eduard die Trauergesellschaft für den Leichenschmaus in eine andere Gaststätte um. Warum Eduard einen „Gegen-Leichenschmaus“ organisierte? Nur so viel: Es ging um Schulden, die Ulla Haybach hätte begleichen müssen. Eduard trennte damit den Professor Haybach und seine ehemalige Frau noch mehr, als dies durch die gerichtliche Trennung bereits geschehen war. Die Geschichte schliesst mit dem Satz: „Sie waren endlich noch weiter getrennt, als es die meisten gewesenen Paare trotz aller Anstrengung fertigbringen“.
Die lässliche Todsünde „Zorn“ handelt von Leo Meyer-Eggenburg, der mit seiner Frau Ilka und den Kindern Joshi, Amos und Alina in einer stattlichen Siedlung wohnt. Die Ehe erkaltet und dümpelt nur noch vor sich hin. Als eines Tages ein Schloss in ihrer Wohnung aufgebrochen wird, erinnert sich Ilka an einen Nachbarn, der abgeschieden in einer Scheune wohnt und irgendwas „mit Computern hantiert“. Doch der schrullige Nachbar speist Ilka ab mit dem Satz: „Für deinen Bienenkorb von Familie habe ich kein Talent.“ Ilka interpretiert diesen Satz nach ihrem eigenen gusto. Sie redet sich ein: Dieser Nachbar, dieser Mann, will mich, und zwar ohne Familie. Als sich der Nachbar dann doch in Ilkas Wohnung bemüht, um ihr das aufgebrochene Schloss zu reparieren, schiebt sie ihm ihre Hände in seine Gesässtaschen. Ob sich da eine Beziehung anbahnt, oder ob der „Schlosser“ schlussendlich Ilka gegenüber „verschlossen“ da steht, das sei an dieser Stelle nicht verraten.
Die lässliche Todsünde „Wollust“ berichtet von einem Mann namens Rument, der eine, nun ja, sagen wir sehr unattraktive Frau namens Jana geheiratet hat. Dies zum grossen Ärger seiner Mutter. Rument habe Jana aus dem Tierheim geholt, sagte sie einmal. Mit neunzehn Jahren soll sie immer noch wie ein trotziges Kind ausgesehen haben, das raucht, an den Nägeln kaut und einem „missgelaunten Troll“ ähnelt. Jana hauste in einer verwahrlosten Wohnung, ihre Mutter war Alkoholikerin und ihr Vater aggressiv und ein Randalierer. Trotz alldem hält Rument zu Jana. Auch dann, als er Janas Mutter nach deren Suizid auffindet und ihr Vater nach einem Verkehrsunfall stirbt. Rument kümmert sich um Jana genauso wie um seine Gastwirtschaft. Was Rument jedoch bedauert, das ist die gänzliche Abwesenheit eines sexuellen Ehelebens mit Jana. Als er ihr eines Abends ein aufwändiges Essen bereitet, um sie günstig zu stimmen, betrinkt sich Jana mit Rotwein und bekommt rote Flecken. Betrunken gehen Jana und Rument zu Bett. Obwohl Rument am anderen Morgen ohne Pyjamahose aufwacht, kann er sich an nichts mehr erinnern. Immerhin bedankt sich Rument bei Jana, indem er ihr ein paar Ferientage schenkt. Nach Capri solls gehen, obschon Rument die Italiener nicht leiden kann…
Kann eine Todsünde „lässlich“ sein? Immerhin übertitelt Eva Menasse ihren Erzähband mit „Lässliche Todsünden“. Nach der Lehre der Bibel führt jede Todsünde zum Tod des Sünders. Nur durch das Opfer von Jesus Christus sowie durch den Tod kann der Mensch von den Todsünden erlöst werden. Was genau sind nun aber derart schwere Sünden? Die Sünde muss gegen Gottes Zehn Gebote verstossen. Dies ist der Fall bei Mord, Ehebruch oder Abfall vom Glauben. Die Sünde muss ausserdem vom Sünder mit vollem Bewusstsein und mit freiem Willen begangen worden sein.
Die Idee der „Sieben Todsünden“ stammt nicht aus der Bibel. Dies mag alle von uns, die sich hin und wieder etwas sündig Lustvolles erlauben, beruhigen. Mit Todsünden ängstigt die katholische Kirche ihre Gläubigen erst seit dem 4. oder 5. Jahrhundert nach Christus. Im 4. Jahrhundert erstellte der Mönch Evagrius Ponticus (345-399) eine Liste mit acht Hauptsünden. Seine Liste wurde vom asketischen Mönch Johannes Cassianus (um 365-435) übernommen. Papst Gregor I. (540-604) änderte dann die Liste so um, dass eine „offizielle“ Liste der Todsünden der römisch-katholischen Kirche entstand. Folgende „Sieben Todsünden“ wurden aufgelistet: Hochmut (lateinisch: superbia), Habgier / Geiz (lateinisch: avaritia), Wollust (lateinisch: luxuria), Jähzorn (lateinisch: ira), Völlerei (lateinisch: gula), Neid (lateinisch: invidia) und Faulheit (lateinisch: acedia). Man kann sich die sieben Todsünden leicht merken mit dem Akronym „SALIGIA“ für superbia, avaritia, luxuria, ira, gula, invidia, acedia.
Sieben Dämonen für die sieben Todsünden erfand die Katholische Kirche zusätzlich, um die armen Sünder vollends zu ängstigen und abzuschrecken. Dafür zuständig war ebenfalls nicht der oberste Hirte und auch nicht die Bibel, sondern das himmlische Personal der Kirche auf Erden, diesmal in der Person des Bischofs Peter Binsfeld (1545-1598). Gemäss Binsfeld ist der Teufel Luzifer höchstpersönlich zuständig für den Hochmut, der Dämon Mammon für den Geiz, der Dämon Asmodeus für die Wollust, der Dämon Beelzebub für die Völlerei, der Dämon Leviathan für den Neid und der Dämon Belphegor für die Faulheit.
Da bleibt nur noch anzumerken, dass mir die „lässlichen Todsünden“ in den Erzählungen der Eva Menasse wesentlich lebensechter und menschlicher erscheinen als die furchterregenden und dämonischen „Sieben Todsünden“, die sich die Diener der katholischen Kirche ausgedacht haben.
Text, Fotos und Radiosendung: Kurt Schnidrig