Michael Hugentobler, geboren 1975 in Zürich, ist Schriftsteller und Reporter. Er arbeitete für grosse Schweizer Zeitungen, für die NZZ und für den Tages Anzeiger. Er ist aber auch Roman-Autor. Als Journalist müsse er wahrheitsgemäss berichten, als Roman-Autor dürfe er aber auch phantasieren und fiktiv erzählen, fasst Michael Hugentobler im rro-Interview sein literarisches Schaffen zusammen. Heute lebt Michael Hugentobler in Aarau. Mit seinem Roman „Feuerland“ sorgte er im vergangenen Literatur-Jahr 2021 für eine Sensation. Das Buch landete auf der Shortlist des Schweizer Buchpreises und schaffte es damit unter die vier besten Schweizer Bücher des Jahres 2021.
Die Verbindung von Realität und Fiktion beschäftige ihn enorm und beeinflusse massgeblich seine literarische Arbeit, gesteht Michael Hugentobler mir gegenüber im rro-Interview. Er habe das Privileg, dass er als Reporter die Realität abbilden dürfe, als Roman-Autor aber auch nach Lust und Laune dazu erfinden dürfe. Er schreibe nicht für Leserinnen und Leser. Wenn er am Schreibtisch sitze und sich dabei überlegen müsste, was er nun für Leserinnen und Leser schreiben solle, dann würde ihn das allzu nervös werden lassen. Deshalb wähle er immer Themen aus, die ihn persönlich faszinieren und die ihm selbst Freude bereiten würden. Ansonsten würde er es gar nicht schaffen, vier Jahre lang an einem Buch zu arbeiten.
„Ich schreibe nicht für Leserinnen und Leser. Das ist meine Einstellung beim Schreiben. Ich wähle immer Themen aus, die mich faszinieren und die mir persönlich Freude bereiten. Wenn diese Freude nicht wäre, dann würde ich es nicht schaffen, vier Jahre lang an einem Buch dranzubleiben.“
Michael Hugentobler im Gespräch mit Kurt Schnidrig
„Feuerland“ – so heisst Hugentoblers Buch. Wie er denn zu dieser „wahren und weltumspannenden Geschichte eines einzigartigen Buches“ (Klappentext) gekommen sei, wollte ich von ihm wissen. „An einem Lagerfeuer!“, schmunzelt Michael Hugentobler, „und zwar in Feuerland, das sich in Patagonien (Argentinien) befindet.“ Ein älterer Herr habe ihm die Gschichte am Lagerfeuer erzählt. Der ältere Herr habe ihn begrüsst mit „Guten Abend, Herr Missionar!“ Ob dieser Begrüssung sei er, Michael Hugentobler, bass erstaunt gewesen. Daraufhin habe ihm der ältere Herr die Geschichte von einem Missionar erzählt, der zu einem Geist geworden sei. Dieser Geist sei auf der Suche nach einem Buch gewesen, das ihm gestohlen worden war.
Die wahre, weltumspannende Geschichte eines einzigartigen Buchs dreht sich um die historische Gestalt des Thomas Bridges. Dieser wächst als Ziehsohn eines britischen Missionars am südlichen Ende Südamerikas auf, unter den Kindern der Yamana. Er ist fasziniert von der reichen Sprache dieses Volkes. Er beginnt, die Wörter des Volkes der Yamana zu sammeln und aufzuschreiben. Daraus entsteht eine Sammlung von unschätzbarem Wert, denn die Sprache der Yamana ist vom Untergang bedroht. Diese wertvolle Sammlung, sein Buch, wird dem Missionars-Sohn Thomas Bridges später gestohlen. Es fällt dem Völkerkundler Ferdinand Hestermann in die Hände. Hestermann ahnt, dass ihm mit diesem Buch ein wissenschaftlich bedeutsamer und einmaliger Schatz in die Hände gefallen ist. Er hütet das Buch wie seinen Augapfel. Als dann aber in den 1930er Jahren die Nationalsozialisten beginnen, Bibliotheken zu plündern und Bücher zu verbrennen, begibt er sich auf eine gefährliche Reise, um das Buch als Erbe für die Menschheit zu retten.
„Ich glaube an Geister, es sind dies Geister im Buch. Ich erfinde Figuren, manchmal solche, die schon existieren, aber ich erfinde sie neu. Die Figuren nehmen dann eine seltsame Form an, ich sage dieser Form „Geist“. Es ist dies ein Geist, der auch bei mir im Büro steht und mir sagt, was ich schreiben soll.“
Michael Hugentobler im Gespräch mit Kurt Schnidrig
Wie viel Wahrheit in der Geschichte „Feuerland“ steckt, ist eigentlich unerheblich. Zwei historische Figuren und ein Buch bilden den Ausgangspunkt. Doch dann lädt Michael Hugentobler die „Geister“ in sein Büro ein, sie formen die Protagonisten in seinem Buch und sie flüstern dem Autor ein, was er schreiben solle. Entstanden ist so eine subtil erzählte Geschichte. Mit Patagonien in Feuerland hat sie einen faszinierenden Hintergrund. Die Geschichte schlägt einen Bogen von der kolonialen Problematik bis hin zu den Zerstörungen, die der Nationalsozialismus angerichtet hat. Fakten und Fiktion vermischen sich derart auf faszinierende Art und Weise.
Text, Fotos und Radiosendung: Kurt Schnidrig