Christoph Geisers Zermatt-Roman „Grünsee“ hatte mich anlässlich einer Lesung derart in Bann gezogen, dass ich das Buch unbedingt haben musste. Auf der Suche danach, traf ich auf den Schriftsteller und auf dessen Verleger. Ein unglaublicher Zufall. Christoph Geiser zog sein Buch „Grünsee“ hervor, aus dem er soeben vorgelesen hatte, und schenkte es mir. Noch selten habe ich eine derart professionelle und sorgfältige Edition einer Werkausgabe begutachten dürfen.
Eine editorische Notiz bestätigt, dass die Veröffentlichung der Werkausgabe von Christoph Geiser im Secession Verlag nicht nur einem sorgfältigen Korrektorat und Lektorat unterzogen wurde, es wurden auch logische und sinnentstellende Fehler und stilistische Unstimmigkeiten behoben sowie weitere behutsame Veränderungen vorgenommen. Sämtliche Eingriffe in die originale Textgestalt sind jedoch vom Autor gewollt und gutgeheissen. Für diese Qualitätsarbeit bürgen einerseits Moritz Wagner, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Schweizerischen Literaturarchiv (SLA) in Bern, und andererseits Julian Reidy, der an den Universitäten von Bern und Genf sowie an der ETH Zürich lehrte.
Im Beitrag über Christoph Geisers Lesung in Leukerbad habe ich meine Beobachtungen, Assoziationen und persönlichen Gedanken zu diesem äusserst lesenswerten und bisher leider allzu wenig bekannten Schriftsteller bereits dargelegt. Lesen Sie auch:
Das Wichtigste in Kürze: Vor genau 60 Jahren ist in Zermatt eine Seuche ausgebrochen, eine Typhus-Epidemie. Typhus ist eine bakterielle Erkrankung mit hohem Fieber. 437 Menschen sind damals im Jahr 1963 erkrankt, drei Menschen sind gestorben. Alle Hotels, Bars, Restaurants und Skipisten hatten schliessen müssen. Jetzt, 60 Jahre später, gibt Schriftsteller Christoph Geiser seinen Zermatt-Roman neu heraus. Der Roman „Grünsee“ ist Teil einer neu aufgelegten Werkausgabe, die im Secession-Verlag erscheint.
Vertuschen und Verdrängen – damals wie heute. Der Schriftsteller verwebt und verknüpft die Typhus-Epidemie von Zermatt mit dem Zerfall seiner grossbürgerlichen Familie. Christoph Geiser ist aus dem bürgerlichen Lebensweg ausgebrochen. Vor der symbolträchtigen Kulisse des Matterhorns spielt das Vertuschen und Verdrängen eine wichtige Rolle, sowohl bei der Typhusepidemie als auch bei der Dekonstruktion und Auflösung seiner grossbürgerlichen Familie, die von ganz anderen Erschütterungen heimgesucht wurde. Alle diese Probleme und Unstimmigkeiten einer grossbürgerlichen Familie wurden genauso vertuscht und verheimlicht wie die Zermatter ihre Typhus-Epidemie zu vertuschen versuchten.
Sprachlosigkeit und Sprachverkrampfung diagnostiziert der Schriftsteller als Familien-Krankheit, und vielleicht war und ist dies auch die Krankheit unserer modernen Zeit. Sein Schreiben hat ihn aus der bürgerlichen Diskretion geführt hin zur literarischen Befreiung. „Das Finden der eigenen Sprache ist mein ureigenstes literarisches Anliegen“, sagt der Autor.
Text, Bild und Radiosendung: Kurt Schnidrig