Der Literatur-Hängert: Zu Besuch bei der Autorin und Lyrikerin Jolanda Brigger-Ruppen

Jolanda Brigger-Ruppen schreibt auch Kurztexte, die sie als „Status-Texte“ veröffentlicht. Hier beim „Literatur-Hängert“ mit Kurt Schnidrig (Bild: rro)

«Literatur-Hängert» mit Kurt Schnidrig:

In regelmässigen Abständen trifft unser Literaturexperte Menschen aus der Literaturszene zum ausführlichen Gespräch.

«Literatur-Hängert» vom 28. Oktober 2024: Kurt Schnidrig empfängt die Lyrikerin Jolanda Brigger-Ruppen. Die Autorin aus Grächen lässt sich nicht in ein Schema zwängen. Sie schreibt Lyrik, lyrische Prosa und verdichtete Kurztexte. Ihre Kurztexte kombiniert sie häufig mit einem Bild. Es ist dann an den Lesenden, Text und Bild zusammenzufügen und sich darüber eigene Gedanken zu machen. Viele kennen Jolanda Brigger-Ruppen auch aufgrund ihrer Status-Texte auf Whatsapp, rund 800 Status-Texte mit Bildern sind bereits entstanden. Sie verfasst auch Geschichten, häufig zum Thema «Berge». Eine aktuelle Erzählung trägt den Titel «Countdown am Berg».

Nachfolgend ein Ausschnitt aus dem „Literatur-Hängert“ mit Jolanda Brigger-Ruppen, den Sie auf pomona.media / rro in voller Länge nachhören können.

Jolanda Brigger-Ruppen, du bis im Oberwallis als Autorin bereits bekannt. Worüber schreibst du am liebsten?

Zuerst: Ich mag es, wenn man mich anspricht mit Jolanda Brigger-Ruppen. Als ich angefangen habe zu schreiben hat mir mein Vater gesagt: Du musst den Namen Ruppen auch benutzen. Ich habe früh mit dem Schreiben angefangen. Ich war etwa 20 Jahre alt, da habe ich angefangen mit Tagebuch-Einträgen und mit kleinen Gedichten. Das Schreiben hat sich bei mir immer weiterentwickelt. Zuerst habe ich nur walliserdeutsche Texte geschrieben. Ich bin dann aber zur Ansicht gelangt, dass Walliserdeutsch und insbesondere das „Greechertitsch“ eine sehr grobe Sprache sei. Deshalb hab ich mich dann auf hochdeutsche Lyrik spezialisiert. Seither schreibe ich regelmässig, ich habe nie aufgehört mit dem Schreiben. Ich lasse mich auch nicht in eine Schublade zwängen, ich habe nicht ein bestimmtes Repertoir. Ich schreibe Lyrik, ich schreibe Prosa, ich schreibe lyrische Prosa. Ich schreibe über alles gerne, ich schreibe auch in jeder Art und Weise.

Im Status bei Whatsapp stellst du deine Kurztexte regelmässig deinen Leser:innen zur Verfügung. Sind es tatsächlich Kurztexte oder bevorzugst du eine andere Bezeichnung für deine Kurztexte?

Es handelt sich um verdichtete Texte, die Bezeichnung „Kurztexte“ ist zutreffend. Aufgrund ihrer Kürze würde ich aber nicht von „Lyrik“ oder von „Gedichten“ sprechen. Meine Kurztexte kombiniere ich meistens mit einem Bild. Die Lesenden fügen dann Text und Bild zusammen, machen sich darüber eigene Gedanken. Wenn ich beispielsweise den Text weglassen würde, stünde das Bild alleine da und die Lesenden würden wahrscheinlich einen ganz anderen Text dazu schreiben als ich.

Jolanda Brigger-Ruppen kombiniert ihre Kurztexte oft mit einem Bild. (Foto: Kurt Schnidrig)

Bei dir ergänzen sich also Bild und Text, die Lesenden können sich selbst dazu eine Geschichte ausdenken oder sie können selbst herausfinden, welchen Sinn deine bebilderten Kurztexte ergeben könnten. Wie hört sich so ein Kurztext an? Hast du ein Beispiel dabei?

Ich habe rund 800 Status-Texte mit Bildern. Ein aktueller Text trägt den Titel ………effekt*.

Die Lesenden müssen sich mit dem Sternchen am Schluss selbst einen Zusammenhang herstellen. Manchmal gelingt das und manchmal nicht. (Foto: Kurt Schnidrig)

Bei diesem Text geht es also um das „Rumtreiben“ oder „Rumfahren“. Im vergangenen Sommer waren viele von uns mit dem Flugzeug unterwegs, mit dem Zug oder mit dem Auto. Man könnte darüber hunderte Seiten schreiben, du schaffst es, in ein paar Zeilen das Problem abzuhandeln. Welche Wirkung haben die Texte? Hast du dazu bereits Rückmeldungen bekommen?

Den Status bei Whatsapp lesen ja meistens Leute, die mich kennen, und die wissen, was ich da mache. Die meisten von ihnen verstehen mich und finden auch heraus, was ich sagen will. Immer gibt es aber auch Einzelne, die aus meinen Texten nicht ganz schlau werden, diese lasse ich „im Schilf stehen“ mit meinen Texten. Manchmal kommen Rückfragen, ich antworte dann, dass jede und jeder aus meinen Texten herausholen möchte, was er oder sie gerne möchte. Ein Text kann je nach Leser ganz verschieden interpretiert werden.

Deine Texte handeln von „Augenblicken“, „Bio-Puzzles“, aber auch vom „Tod“. Existieren für dich ganz besondere Themen, über die du bevorzugt schreibst?

Ich befasse mich mit allem Möglichen. Ich schreibe zum Beispiel über Umwelt-Themen, die ich zuweilen etwas satirisch darstelle, etwas zugespitzt. Ich schreibe aber auch über philosophische Themen, über den Tod etwa oder über Krankheit. Auch das Leben nach dem Tod war für mich ein wichtiges Thema, besonders als ich vor dreieinhalb Jahren meinen Mann verloren hatte. Das sind Texte, die in die Tiefe gehen, in denen ich mich frage: Was ist eigentlich der Tod? Was passiert nach dem Tod? Wohin gehen wir? Woher kommen wir? Das sind die ewigen Fragen, die sich jeder Mensch stellt und die ich in meinen Texten verarbeite und erkläre.

Das Leben nach dem Tod ist für Jolanda Brigger-Ruppen ein wichtiges Thema. (Foto: Kurt Schnidrig)

Jolanda Brigger-Ruppen, du kürzlich hast du im Zeughaus Kultur in Brig aus deinen Werken gelesen. Könntest du uns einen kurzen Ausschnitt aus deiner Lesung präsentieren?

Die kürzeste Geschichte, die ich vorgetragen habe, heisst „Countdown am Berg“:

„Am Fusse der Bergkette wohnte ein Skirennfahrer. Sechs Jahre lang fiel keine Flocke Schnee. Völlig entnervt verbrannte der Sportler eines Tages seine Skiausrüstung und besorgte sich eine Angel mitsamt Zubehör. Fünf Monate lang warf er die Angel jeden Tag in den trüben Bergsee, aber niemals fing er einen Fisch. Da versorgte der Skirennfahrer Fischer die Angel im Kellerschrank und beschloss, von nun an die Berge zu besteigen und er ging sich eine Kletterausrüstung kaufen. Vier Wochen lang beobachtete er, wie immer wieder losgelöste Steine auf die Köpfe von Leuten fielen und wie diese dabei ums Leben kamen. Aus Zorn darüber blieb die Sportkanone während einer Bergtour einmal kurz stehen und warf das gesamte Kletterzeug wie im Affekt den Berg hinab. Nun wartet der Skifahrer Fischer Kletterer schon seit drei Tagen auf seine Rettung.

Darf ich kurz nachfragen: Wie bist du zu dieser Geschichte „Countdown am Berg“ gekommen? Was hat dich dazu animiert und motiviert?

Diese Kurzgeschichte habe ich aus aktuellem Anlass geschrieben. „Klima“, „Gletscherschwund“, „Bergsteiger, die nicht mehr aufs Matterhorn dürfen, weil Steine herunterkollern“, „Umweltverschmutzung“ – alle diese Themen beschäftigen mich immer wieder. Deshalb habe ich diese Kurzgeschichte geschrieben. Sechs Jahre hat es nun keinen Schnee mehr gegeben. Deshalb hat sich der Skirennfahrer nach einer anderen Beschäftigung umsehen müssen, er hat sich dem Angeln zugewandt. Nach fünfmonatigem Fischen ohne etwas gefangen zu haben, hat er vier Wochen lang beobachtet, wie Steine herunterkollern. Dann hat er alles wegschmissen. Nun wartet er drei Tage lang auf seine Rettung – das will heissen: Gibt es überhaupt noch etwas, das ihn retten kann? Oder muss er selber etwas tun? Oder hilft ihm jemand? Dies alles entspricht in etwa der Thematik, die uns im Umgang mit unserer Umwelt umtreibt. Eigentlich wissen wir alle, was da abgeht, aber niemand weiss so genau, was zu tun wäre.

Zum Thema „Umwelt“ existieren viele Bücher, viele Materialien. Du schaffst es, dies alles in Kurzform zu präsentieren. Worin siehst du persönlich den Vorteil von Kurztexten? Kann man die Menschen mit Kurztexten besser erreichen? Oder ist ein längerer Roman doch die bessere Wahl?

Einen Roman zu schreiben erfordert viel Zeit und Geduld. Der Hintergrund des Schreibens ist aber derselbe: Man möchte gelesen werden. Ich denke, dass man in der heutigen Zeit mit Kurztexten eher weiter kommt als mit langen Texten. Persönlich habe ich ja noch nicht allzu viel Gedrucktes veröffentlicht. Ich musste aber die Erfahrung machen, dass die Leute viel besser und geduldig zuhören, wenn sie wissen, dass es sich um eine kurze Geschichte handelt. Also zum Beispiel ein verdichteter Text, ein kurzes Gedicht. Ein Roman ist naturgemäss etwas ganz anderes.

Ein verdichteter Text, ein kurzes Gedicht. Die Autorin glaubt, dass heutige Lesende kurze Texte mögen. (Foto: Kurt Schnidrig)

Deine Texte erscheinen oft in Zusammenhang mit einem Bild, manchmal ist auch der Kurztext bereits optisch so angeordnet, dass ein „bildlicher Text“ daraus entsteht. Eines deiner Gemälde hängt im World Nature Forum in Naters mit dem Titel „Gletscherzunge“. Der Text hat die Form einer Zunge. Kommt die Kombination von Visuellem und Kognitivem heutigen Menschen entgegen?

Bild und Text sind sehr wichtig. Wir machen uns aus allem und jedem ein Bild. Auch die „Gletscherzunge“ ist ein Umweltthema. Dargestellt ist ein einziges Wort, das Wort „Gletscherzunge“, dargestellt auf einem riesigen Plakat mit weissem Hintergrund. Das Wort ist zuerst gross geschrieben, dann wird es darunter immer kleiner geschrieben, so dass gesamthaft das Bild einer schmelzenden Gletscherzunge entsteht.

Obschon du viel schreibst, hast du wenige Auftritte und Lesungen. Was ist der Grund dafür? Gibt es vielleicht doch etwas, was du gerne mal der Öffentlichkeit präsentieren möchtest?

Ja das stimmt. Man wird bekannt, wenn man etwas Gedrucktes veröffentlicht. Tatsächlich habe ich nicht besonders viel Gedrucktes veröffentlicht. Im Walliser Jahrbuch haben ich hin und wieder Kurzgeschichten oder Lyrik veröffentlicht. Einige meiner Texte sind auch in Anthologien erschienen. Am liebsten halte ich eine Lesung vor Publikum, ich präsentiere gerne meine Werke, die nicht unbedingt gedruckt sein müssen. Zu verschiedensten Thematiken könnte ich Texte beisteuern.

Wo würdest du liebend gerne mal auftreten und deine Texte präsentieren?

Kürzlich habe ich zur Thematik „Gipfelstürmer“ im Zeughaus Kultur in Brig gelesen. Bei Berg Buch Brig beispielsweise würde ich gerne mal auftreten und meine Texte präsentieren. Meine Texte würden sich für das Multimediafestival Berg Buch Brig eignen.

Hoffen wir, dass deine Wünsche in Erfüllung gehen. Wie wirst du als Grächnerin in deinem Wohnort wahrgenommen?

Anlässlich des „Kultursommer Grächen“ hatte ich mehrmals die Möglichkeit, meine Texte vorzustellen. Auch in der Grächner Kirche durfte ich eine szenische Lesung halten. Sowas liegt mir und sowas mache ich auch liebend gerne.

Wir freuen uns auf weitere Lesungen von dir und wünschen dir weiterhin viel Erfolg.

Den Literatur-Hängert können Sie anhören auf pomona.media / rro. Text, Bilder und Radiosendung: Kurt Schnidrig