Die Traumwelten Irlands sind Schauplatz zahlreicher Roman-Verfilmungen. Ein Besuch.
Wir sind an einem der berühmtesten Schauplätze Irlands. Schaudernd wandern wir über die Cliffs of Moher in der Grafschaft Clare und wagen einen Blick in die Tiefe. Die Klippen ragen an vielen Stellen nahezu senkrecht aus dem atlantischen Ozean und erstrecken sich über mehr als acht Kilometer. Am Südende, dem Hag’s Head, haben sie eine Höhe von ungefähr 120 m, nördlich des O’Brien’s Tower erreichen sie sogar 214 m.
Der sechste Harry-Potter-Film
Auf den Spuren von Harry Potter und Professor Albus Dumbledore huschen wir den Klippen entlang. Eine surreale Szenerie: Verzaubert und magisch verklärt suchen wir unwillkürlich nach dem dritten Horkrux, welcher benötigt wird, um Lord Voldemort zu zerstören.
Die Cliffs of Moher sind der berühmte Schauplatz in «Harry Potter und der Halbblutprinz». Meine Kollegin hält sich an einem Felsenriff fest und streckt mir ihr Handy entgegen: „Schau, wir sind mitten im Film!“ Darauf zu sehen ein Ausschnitt aus „Harry Potter und der Halbblutprinz». Umtobt von Windböen und von der heraufspritzenden Gischt des atlantischen Ozeans tauchen die magischen Drehorte in natura vor uns auf.
Und plötzlich stehen wir auf einem steilen, abfallenden Felsen, von den Wassern des Ozeans umtobt. Eine imposante Felswand ragt vor uns empor, und ja, da ist sie, die Höhle in der Mitte, in welche wir uns wagen müssen… Wo nur ist der verflixte Horkrux? Und inmitten der Brandung glaube ich die hasserfüllte und krächzende Stimme Lord Voldemorts zu vernehmen…
Ein Blick auf die Cliffs belehrt mich jedoch: Die krächzenden Laute stösst nicht Lord Voldemort aus, es sind die Stimmen der Papageientaucher, die in grossen Kolonien am Riff leben.
Unvergessliche Szenen aus berühmten Filmen oder Serien haben etwas gemeinsam: Irland war der Drehort. Die mythisch-zauberhafte Landschaft mit ihren sattgrünen Wiesen und das dämonisch-magische Licht sind eine perfekte Staffage für romantische und imposante Szenen. Nachfolgend nur eine kleine Auswahl.
Star Wars
Die dramatischen Landschaften locken immer wieder die Location-Scouts nach Irland. Jeder Literatur-Fan müsste einmal in seinem Leben auf den Spuren der verfilmten Weltliteratur die dramatischen Landschaften Irlands erkunden!
Wer jemals die unverwechselbare Felsengestalt von Skellig Michael aus dem Meer ragen sieht, der wäre kaum erstaunt darüber, würde einer der Jedi-Ritter vorbeigaloppieren. Der prominenteste Drehort für «Star Wars» ist Skelling Michael.
Unser Kopfkino springt an: Die Gestalt von Luke Skywalker erhebt sich aus seinem felsigen Inselrefugium, schliesst sich der Rebellen-Allianz an und stürzt sich in die Schlacht von Yavin. Und plötzlich übertönt ein Gewehrschuss das Geschrei der Möwen. War es Luke Skywalker, der mit einem gezielten Schuss den ersten Todesstern des Imperiums zerstört hat?
Mit unserem Mietauto rasen wir im Linksverkehr über holperige Strässchen, die Bäume und Sträucher peitschen beim Vorüberfahren an die Seitentüren. Wir befahren den «Wild Atlantic Way» und «reiten» wie Jedi-Ritter weiteren Star Wars Drehorten auf der irischen Insel entgegen.
Ein Regenbogen spannt sich weit über die grüne Insel, als wir unsere Pferdestärken in Malin Head in der Grafschaft Donegal «auftanken», weiter in Loop Head in der Grafschaft Clare, dann auch in Ceann Sibéal und Dunmore Head, beide in der Grafschaft Kerry, und schliesslich zum grossen Zusammentreffen mit den Jedi-Rittern in Brow Head und Mizen Head in der Grafschaft Cork erwartet werden.
P.S. I Love You (P.S. Ich liebe Dich)
Bereits auf dem Flug von Mailand Malpensa nach Dublin mit der Ryanair habe ich wieder einmal den melancholischen Roman der irischen Autorin Cecilia Ahern durchgeblättert und mir nochmals einige Stellen daraus zu Gemüte geführt. Die Verfilmung des Romans «P.S. I Love You» wurde zu einem grossen Teil in Wicklow und Dublin gedreht. Die berührende Romanstory erzählt zutiefst emotional von den grossen Themen unseres Lebens: Von Liebe, Trauer und Verlust.
Als die Literaturverfilmung in unsere Kinos kam, hatte ich mich Hals über Kopf in die irische Landschaft verliebt. In Dublin gelandet, tun wir es den Protagonisten Holly und Gerry gleich und verabreden uns am Sally Gap und im Wicklow Mountains Nationalpark.
Braveheart
Nach einigen hundert Kilometern Fahrt begrüsst und das Spiel der Morgensonne auf dem glitzernden Wasserspiegel der Blessington Lakes. Wir halten Ausschau nach dem furchtlosen William Wallace (gespielt von Mel Gibson). Wird er seinen Verfolgern entkommen? Und ja, wir entdecken Hufspuren an den Ufern der Blessington Lakes. Wetten, dass William Wallace auch diesmal hoch zu Ross seinen Häschern entkommt?
Das erstaunliche daran: Mel Gibsons Epos «Braveheart» handelt vom schottischen Unabhängigkeitskrieg, trotzdem wurde ein Grossteil der Literaturverfilmung in Irland gedreht.
Ob William Wallace inzwischen ins Trim Castle geflüchtet ist? Irlands grösstes noch erhaltenes normannisches Schloss, das Trim Castle in der irischen Grafschaft Meath, ist der Schauplatz für die von Mauern umgebene Stadt York.
Unser Wagen donnert über die abenteuerlichen Wege. Plötzlich weitet sich die Landschaft. Wir nicken uns zu. Es leuchtet uns ein, dass die Location-Scouts für die Verfilmung der heroischen Schlacht von Stirling Bridge eben diese mythische und weit offene Landschaft der irischen Grafschaft Kildare wählten.
Saving Private Ryan (Der Soldat James Ryan)
Eigentlich ein harter Schnitt auf unserer literarischen Irland-Reise nach Drehbuch. In Gedanken sind wir an der Omaha Beach in der Normandie. Steven Spielberg wollte in seinem Kriegsfilm «Der Soldat James Ryan» die D-Day-Landung möglichst originalgetreu drehen. Seine Location-Scouts fanden den perfekten Drehort jedoch nicht in Nordfrankreich, sondern in Irland, am Ballinesker Beach und am Curracloe Strand in der irischen Grafschaft Wexford.
Das Chat-GPT in unserem Mietwagen belehrt uns: «Mit der D-Day-Landung bezeichnen Historiker jenen Tag, an dem während des Zweiten Weltkriegs die Landung alliierter Truppen in der Normandie begann. Der Film von Steven Spielberg beginnt damit, dass ein betagter amerikanischer Kriegsveteran mit seiner Familie den Soldatenfriedhof Normandy American Cemetery and Memorial besucht und an einem der Gräber tief bewegt niederkniet. In Rückblenden erzählt der Film von der Invasion und Landung der Alliierten am Omaha Beach in der Normandie am 6. Juni 1944, dem D-Day.»
Wir «landen» am Curracloe Strand. Für zwei Monate wurde aus dem irischen Curracloe Strand der Omaha Beach aus der Normandie. Steven Spielberg und seinen Location-Scouts war die Verlegung des Kriegsgeschehens nach Irland mehr als 12 Millionen Dollars wert.
Wir tun es den 2’500 Mitgliedern der irischen Armee gleich, die Steven Spielberg als Statisten für seinen Kriegsfilm rekrutiert hatte, waten durch den feinkörnigen Sand des Curracloe Strands und fühlen uns an den Omaha Beach in der Normandie versetzt. Draussen auf dem Meer schwimmen die Boote. In einem dieser Boote mag Steven Spielberg gesessen haben, als er zusammen mit den Filmstars Tom Hanks, Ed Burns, Vin Diesel und Adam Goldberg an einem 10-tägigen Trainings-Bootcamp teilnahm.
Game of Thrones
Zurück im Strandhotel in Dublin wollen die abenteuerlichen Impressionen verarbeitet sein. Meine Fantasie hat jedoch derart Fahrt aufgenommen, dass mir die Rückkehr in die Realität und in den grauen Alltag schwerfällt. Das Strandhotel in Dublin bietet ein opulentes Kino-TV-Programm an.
Seit Jahren gehört «Game of Thrones» zu den beliebtesten Sendungen, die dort gestreamt werden. Und dies, obschon bereits seit längerem keine neue Folge produziert wurde. «Game of Thrones» wurde von 2010 bis 2018 an insgesamt 49 Orten in Nordirland gedreht. Einige der wichtigsten Szenen der Serie fanden in Nordirland ihren realen Schauplatz.
Die erfolgreiche Fantasy-Fernsehserie basiert auf der Romanreihe «A Song of Ice and Fire» des US-amerikanischen Schriftstellers George R. R. Martin. Die Handlung spielt in einer fiktiven Welt, insbesondere auf den Kontinenten Westeros und Essos. Sieben Königreiche haben sich auf Westeros angesiedelt. Sie sind getrennt durch eine riesige Mauer aus Eis. Zwischen den mächtigen Adelshäusern keimen Zwist und Streitereien auf, die schliesslich in einen offenen Kampf um den Thron münden.
Unsere literarische Abenteuer-Reise durch Irland mit all den Schauplätzen grandioser Literatur-Verfilmungen neigt sich dem Ende zu. Die Koffer sind gepackt und randvoll gefüllt mit Büchern aus Irland. Hier kann die Reise weitergehen, im ganz persönlichen Kopfkino.
Literaturtipps
Klassiker wie «Ulysses» von James Joyce oder die Lyrik von W.B. Yeats haben Irland zu literarischem Weltruhm verholfen. Schon früh war Irland aber auch ein Sehnsuchtsland für Schriftsteller:innen aus dem gesamten europäischen Raum.
Etwas überholt und irreführend ist heutzutage Heinrich Bölls Irisches Tagebuch. Der Reisebericht mit spannenden Impressionen aus dem Jahr 1957 beschreibt Irland als die Grüne Insel mit der ärmsten Bevölkerung Europas.
Liebesromane aus Irland sind legendär. Allen voran der bekannteste Roman von Cecilia Ahern «P.S. Ich liebe dich», der 2007 verfilmt wurde. Darin verliert die junge Amerikanerin Holly früh ihren Mann und damit auch sich selbst. Mit den Abschiedsbriefen ihres Mannes in der Tasche begibt sie sich nach Irland, um wieder zu sich selbst zu finden.
Kurzgeschichten und Romane aus der Feder der Irin Maeve Binchy liefern die Vorlagen von zahlreichen Literaturverfilmungen. International bekannt sind «Sommerleuchten», «Der grüne See», «Die irische Signora», «Rückkehr nach Irland» und «Jeden Freitagabend». Kurz vor ihrem Tod veröffentlichte Binchy «Ein Cottage am Meer», das uns das Irland unserer Tage als ein Schicksalsort für viele näherbringt.
Der autobiographische Roman «Die Asche meiner Mutter» des Iren Frank McCourt hat die Literaturkritik weltweit begeistert. Das Buch gewann den begehrten Pulitzer Preis. Der Ire verarbeitet darin seine entbehrungsreiche Kindheit, die er in Limerick zu ertragen hatte, nachdem seine Familie aus Amerika nach Irland zurückgekehrt war.
Dieser Reisebericht wurde auch auf pomona.media / rro veröffentlicht.
Text, Bilder und Radiosendung: Kurt Schnidrig