Schwarz auf Weiss. Was in der New York Times steht, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Am Times Square in New York sorgen die Schlagzeilen der „Times“ für Erleuchtung (Bild). Wer es in die New York Times geschafft hat, der ist weltweit in aller Leute Munde. Dies gilt auch für die Literatur. Seit letztem Winter führt die nigerianisch-amerikanische Autorin Tomi Adeyemi mit ihrem Roman-Debüt die Bestsellerliste der New York Times an. Geht es nach der New York Times, hat Tomy Adeyemi mit „Children of Blood and Bone“ das Schreiben neu erfunden. Jetzt ist das Buch auch auf deutsch erschienen und heisst da etwas bescheidener „Goldener Zorn“. Kann sich die New York Times auch mal irren?
Zauberei und Magie. Die Literaturkritiker in den USA überbieten sich im Verteilen von Vorschusslorbeeren. „Children of Blood and Bones“ ist eine Fantasy-Geschichte, angesiedelt mitten in einem vorkolonialen westafrikanischen Setting. Die Protagonistin in der Story ist eine nigerianische Frau mit dem Namen Zelie Adebola. Sie erinnert sich noch an eine Zeit, als Afrika ein Kontinent voller Magie und Zauberei war. Zelies Mutter war damals eine sogenannte Schnitterin, eine, die in die Seelen der Menschen hinein schauen kann. Doch dann war plötzlich alles anders geworden. Praktisch über Nacht war die Magie verschwunden. An die Stelle von Zauberei und Magie trat ein unbarmherziger König, der viele Bewohner umbringen liess. Zurückgeblieben ist Zelie ohne ihre Mutter. Zurückgeblieben ist auch ein Volk ohne Hoffnung. Doch dann erhält Zelie eine letzte Chance. Wird sie die frühere Magie zurückbringen? Und wird sie die Monarchie des unbarmherzigen Königs beenden?
Vorschusslorbeeren. Die Story habe ich mit hohen Erwartungen gelesen. Ob sie sich erfüllt haben, die hohen Erwartungen? Leider nur zum Teil. Die zauberhaften Szenen in einem vorkolonialen, nicht mehr existenten westafrikanischen Setting haben mein Kopfkino so richtig zum Laufen gebracht. Die exotischen Bilder, die beim Lesen entstanden, haben meine Sehnsucht nach der früheren afrikanischen Zauberwelt genährt. Die wunderbar beschriebenen magischen Orte haben mein Vorstellungsvermögen fantasievoll bereichert. Ethisch und ethnologisch wertvoll finde ich auch die Tatsache, dass die Geschichte einer marginalisierten afrikanischen Gruppe eine Stimme verleiht.
Banal und gewöhnlich. Enttäuscht hat mich die Handlung. Die Story ist zu einfach, zu banal. Es dreht sich alles um die frühere Magie des afrikanischen Kontinents. Im Verlauf der Handlung wird die Magie jedoch derart zu einem Allerwelts-Heilmittel hochstilisiert, dass man weltweit alle Apotheken, Drogerien und Arztpraxen als überflüssig erklären und mit der Abrissbirne bearbeiten könnte. Auch die Protagonistin Zelie ist nicht wirklich eine Heldin, denn sie vermittelt Vorurteile über ein Afrika, das es so bestimmt nirgendwo mehr gibt, vielleicht auch gar nie gegeben hat.
Gewalttätig und lieblos. Was mir jedoch komplett gegen den Strich geht, das sind die unnötigen Gewaltszenen. Die Story ist übermässig brutal aufgemotzt mit Szenen, die wohl das Mitleid und die Empathie der Leserinnen und Leser mobilisieren sollen. Was allerdings gar nicht geht, das ist das Folgende: Die Protagonistin Zelie verliebt sich ausgerechnet in einen Brutalo, der – so behauptet die Erzählerin – ein gutes Herz haben soll, der aber vor ihren Augen eine derart schreckliche Tat begeht, dass eher Abscheu statt Liebe angebracht wäre. Inan, so heisst der Brutalo, hinterlässt beim Leser ein psychisch krankhaftes Charakterbild. In der Psychiatrie würde man wohl von einer krankhaften Fixierung des Patienten Inan auf die junge Frau Zelie sprechen. Ehrlich: Nie habe ich eine schlimmere Liebesszene lesen müssen. Und wie die Personen in diesem Roman mit der erlittenen Gewalt, mit Folter und Tod, umgehen – das ist schon mehr als fragwürdig, das ist einfach nur traumatisch.
Only bad News are good News… Sind nur schlechte Nachrichten die guten Nachrichten? Ist nur eine gewalttätige und kranke Geschichte auch eine gute Geschichte? Es scheint, dass heute viele Medien sich diesen Leitsatz auf die Fahne geschrieben haben. Dass nun auch die New York Times Bestseller aus diesem Stoff konstruiert sind, das stimmt nachdenklich.
Text und Foto: Kurt Schnidrig