16 Millionen Bücher werden jährlich in der Schweiz verkauft. Eine Forschungsarbeit der Universität Zürich hat kürzlich ergeben, dass 60 Prozent der Erwachsenen mehrmals pro Woche in einem Buch lesen. Warum ist das Lesen allgemein und warum ist besonders das Lesen von Büchern so populär? Die Antwort aus der Forschung überrascht. Autor*innen und Schriftsteller*innen verkaufen Emotionen. In der Emotions-Branche sind Bücher unschlagbar. Ein Film, auch wenn er noch so gut ist und über alle möglichen technischen Raffinessen verfügt, erreicht niemals die Wirkung eines gut geschriebenen Buches.
Kino im Kopf. Da ist bestimmt was dran. Stellen Sie sich mal Goethes „Werther“ als Film vor. Oder die zauberhaften Novellen von Theodor Storm. Oder Bichsels Kindergeschichten. Alle diese Texte sind stärker, sie graben sich tiefer in unser Gedächtnis ein, weil man als Leser*in einen Text im Kopf selber ausgestalten und interpretieren darf.
Selektiv und kompetent. Die Ergebnisse der Forscher sorgten für einigen Aufruhr in der Medienbranche. Wie oft hat man in der Vergangenheit doch schon gejammert über den Niedergang der Lesekultur. Die Leute würden immer weniger lesen und Bücher würden bald einmal zu Exklusivitäten verkommen. Alles falsch, sagen die Forscher*innen von der Universität Zürich. Sie sprechen gar von einer neuen Lust aufs Lesen. Das Schriftliche werde in der Zukunft gar noch dominanter werden. Dazu zählen alle Formen von Texten, literarische Werke ebenso wie Modemagazine oder Nachrichten in den sozialen Medien. Es ist einleuchtend, dass wir heute selektiver lesen (müssen), querlesen, vielleicht auch oberflächlicher lesen, aber das sei kein Verlust, resümiert die Forschung. Die Flut an Texten, die wir heute zu verarbeiten haben, ist schliesslich immens. Sogar Triviales, also „Schund“, zu lesen, könne auf keinen Fall Schaden anrichten. Auch damit liessen sich Kompetenzen trainieren, geben sich die Forschenden überzeugt.
„In der Emotions-Branche sind Bücher unschlagbar.“
Leseforschung der Universität Zürich
Als Moderator durfte ich vor Jahresfrist unvergessliche Stunden in einem Lesezirkel mit der Dichterin Anna Maria Bacher verbringen. Sie verdeutlichte anschaulich, weshalb Bücher auch in der heutigen multimedialen Welt vor allem in der Emotions-Branche immer noch unschlagbar sind. In ihrem Gedichtband „Emozioni e Esperanze“ erinnert sie beispielsweise wehmütig an das Dorf Puneigä, ein Dorf, in dem niemand mehr wohnt. Oftmals sind es die kleinen Dinge des Lebens, welche in der Dichterin besondere Gefühle wachrufen. „I gaa der enki Wägje“ – „Ich gehe durch enge Wege“. Ganz besondere Emotionen setzt in ihr die Bisa frei. Die Bisa ist im Pumattertitsch der Nebel, und nicht etwa der kalte, steife Wind wie bei uns. Siwär Frind? Sind wir Freunde?, fragt die Dichterin, und sie sehnt sich nach menschlicher Wärme. Den emotionalsten Text mit dem Titel „Häksä – Hexen“ jedoch hob sie sich als krönenden Abschluss auf und entliess uns damit in die Kühle der geheimnisvollen Nacht auf der Alp.
„Es ist Vollmond, nackte Füsse tapsen über den Fussboden, es sind die Frauen des Mysteriums, unheimlich, unerklärlich, archaisch. Ihnen gehört die Nacht.“
Nach Anna Maria Bacher, Walserdichterin
Die Lyrikerin Anna Maria Bacher gilt in Walser Mundart als die bedeutendste Autorin der Gegenwart. Ihre Gedichte in Pumattertitsch sind in der „Emotions-Branche“ wohl unschlagbar. Sie entfalten lediglich zwischen Buchdeckeln ihren ganz eigenen Charme und Zauber.
Text, Foto und Radiosendung: Kurt Schnidrig