
Immer mehr Menschen suchen einen Ausgleich zu dem, was sie sonst üblicherweise tun. In diesem virenverseuchten Herbst bietet sich ein Aufbruch in die naheliegende Umgebung an. Es brauchen jedoch nicht immer bloss die bekannten ausgetretenen Pfade zu sein. In den vergangenen Jahren haben sich in meinem Studierstübchen zahlreiche originelle Wanderbücher angesammelt. Wanderbücher haben den grossen Vorteil, dass sie die Zeit überdauern und sich damit wohltuend von den übrigen nach Aktualität und Aktion gierenden Medien abheben.
„Beim Aufbruch in die Natur, beim Wandern und Klettern, sind Probleme wie Mobbing, das Finanzamt oder die PS des eigenen Autos absolut ohne Bedeutung.“
Oswald Oelz im Buch: „Orte die ich lebte, bevor ich starb“
Oswald Oelz war Chefarzt, Expeditionsarzt, Höhenmediziner und vor allem Bergsteiger. Er kann unserem modernen Leben in einer bloss virtuellen und plastifizierten Welt nicht viel abgewinnen. Sein Credo: Das Bergsteigen soll uns allen wieder den Zugang öffnen zur ursprünglichen Welt. Wer sich den Gefahren der Berge stellt, der lebt bewusster und intensiver, resümiert Oswald Oelz.
„Leben wir dieses grossartige Leben, solange wir nur ahnen, dass es irgendwann endet und nicht erst, wenn die letzte Woche angebrochen ist.“
Oswald Oelz in: „Orte, die ich lebte, bevor ich starb“
Peter Salzmann, einheimischer Autor und Wanderleiter, bietet mit seinem Buch „Pilgerweg Neues Jerusalem“ ausgebrannten Mitmenschen viel Erquickliches für Körper und Geist. In seinem Tourenführer stellt er uns eine rund zweiwöchige Pilgerwanderung vor. Diese führt von Spiez aus durchs Wallis und über zwei Sprachgrenzen hinweg nach Varallo. Von Strecken- und Höhenprofilen bis zu den Angaben betreffend Unterkunfts- und Verpflegungsmöglichkeiten bietet das Buch allerlei Wissenswertes. Dazu gehören auch die historischen und kulturellen Schätze, die auf dem Pilgerweg darauf warten, von interessierten Wandersleuten entdeckt zu werden.
Johannes Gerber präsentiert in seinem wundervoll präsentablen Buch Wanderungen entlang der sagenhaften Suonen. Der Geomatikingenieur der ETH Zürich hat sich auf die Bautechnik und die Nutzung der Walliser Suonen und Wasserleiten spezialisiert. Er arbeitet am offiziellen Suoneninventar unseres Kantons mit. Und er ist Verfasser eines höchst originellen Wanderbuchs, das auch Geschichten und Legenden rund um die Suonen erzählt, erschienen mit dem Titel „Wandern an sagenhaften Suonen“. Ursprünglich erstellt für die Hüter dieser Bewässerungskanäle, sind die Wege entlang der Suonen heute gut ausgebaut. Sie bieten romantische und spannende Erlebnisse.
„Will mir jemand weismachen, dass ich lebe, wenn ich vor dem Bildschirm sitze und mit dem Zeigefinger auf der Computermaus herumklicke?“
Steven Mack in: „Der Blindgänger“
Risiko und Kalkül gilt es in der Natur gegeneinander abzuwägen. Ein Bungee-Sprung von der Ganterbrücke am Simplon hat das Leben eines jungen Zürcher Naturburschen verändert. Im Buch „Der Blindgänger“ erzählt der Autor Niels Walter über das gewagte Leben des Steven Mack. Mit seinen Kollegen reiste der 20-jährige Steven Mack ins Oberwallis. Vom Sprung von der 150 Meter hohen Ganterbrücke versprachen sich die jungen Wilden einen Adrenalin-Kick. Sie filmten den Sprung ihres Kollegen Steven. Doch dann das Drama: Die Seile reissen auf unerklärliche Weise und Steven fliegt aus dem Bild und auch aus dieser Welt.
„Von weit unten kam ein schwarzer Vogel mit riesigen Flügeln auf mich zugeflogen…“
Steven Mack über seinen Sturz von der Ganterbrücke
Während des Sturzes habe er einen schwarzen Vogel mit riesigen Flügeln gesehen, der auf ihn zugeflogen sei, wird Steven Mack später zu Protokoll geben. Mit 39 Knochenbrüchen überlebte er und kämpfte sich zurück ins Leben. Das Augenlicht allerdings ist seither nie mehr zurückgekehrt. Steven Mack wurde zum „Blindgänger“, der dem Leben „danach“ jedoch immer noch viele positive Seiten abzugewinnen imstande ist. Braucht es das Risiko in der Natur und anderswo, um unserem Leben einen Sinn zu geben? Über diese Frage lässt sich ausgiebig philosophieren.
Text, Foto und Radiosendung: Kurt Schnidrig