Die polnische Schriftstellerin Joanna Bator hat vor sieben Jahren den Literaturpreis Leuk erhalten. Inzwischen hat sie sich zu einer beachteten internationalen Schriftstellerin weiterentwickelt. Soeben ist von ihr ein Taschenbuch neu erschienen, es trägt den Titel „Dunkel, fast Nacht“. Joanna Bator schreibt über die bewegte deutsch-polnische Vergangenheit. In Bators Geschichten geht es um eine Rückkehr in die unseligen Zeiten der Weltkriege, damals, als Polen mächtig unter die Räder der Weltgeschichte geraten ist. Der Roman ist eine Synthese von mehreren Literatur-Genres, er ist ein Epochen-Porträt, aber auch ein Kriminalroman, eine Mystery-Geschichte und auch eine Liebesgeschichte.
Alicia Tabor heisst die Protagonistin. Sie macht sich auf die Spur von Kindern, die vor langer Zeit verschwunden sind. Die Reise führt sie zurück in ihr Elternhaus. Dieses steht im polnischen Ort Waldenburg. Alicias Vater war ein Historiker, der im naheliegenden Schloss Fürstenstein nach einem Schatz gesucht hatte. Bei dieser Schatzsuche im Schloss Fürstenstein driftet die Romanstory ab ins Dämonische, ins Düstere, ins Dunkle, ins Esoterische. Auf Schloss Fürstenstein geht der Geist von Fürstin Daisy um. Und es tauchen auch all die anderen Geister aus einer unseligen Vergangenheit auf: Katzenfrauen, Katzenfresser, Dämonen.
Verschiedene Geschichten aus dämonischer Vergangenheit verknüpft die Autorin zu einem Roman. Die Erzählfragmente tauchen aus dem Nebel des vergangenen Jahrhunderts auf. Joanna Bator bedient sich gekonnt verschiedener literarischer Kunstmittel und Kniffe, um die verschiedenen Zeitebenen zu einem spannenden Plot zu bündeln. Allerdings gerät dadurch der Roman zu einem episch breit ausgelegten Erzählwerk, in dem die Dialoge zuweilen etwas gar ausufernd viel Platz beanspruchen. Insbesondere die seitenlangen Passagen aus Chat-Foren, dem Internet entnommen, strapazieren die Aufmerksamkeit beim Lesen. Doch dann überraschen auch immer wieder wundervoll poetisch Stellen.
„Zwischen den Bäumen regte sich etwas, das ich für ziehende Nebelschwaden oder das geriffelte Dunkel von Baumrinde hielt, bis mir bewusst wurde, dass ich nicht allein war. Vom unteren Rand der Lichtung, die immer noch in dichtem Grau versank, beobachtete mich jemand. Es trennten uns gut fünfzig Meter, ich lief auf die Gestalt zu, doch im Nebel, der den Wald durchflutete, vergrösserte sich die Entfernung mit einem Mal, als herrschten hier andere Gesetze von Raum und Zeit. (…) Als ich zum Haus kam und die schwingende Gartenpforte sah, wusste ich sofort, dass jemand hier gewesen war oder sich sogar noch beim Haus aufhielt und mich im Nebel verborgen beobachtete. Auf der Fussmatte lag eine Barbiepuppe. Sie sah aus wie im Backofen verschmort.“
Leseprobe aus: „Dunkel, fast Nacht“ von Joanne Bator
Mein Fazit: Man liest diesen Roman mit Gewinn, es hat für jeden Leser und jede Leserin etwas dabei. Das Lesen des 500-seitigen Erzählwerks erfordert allerdings die volle Konzentration, denn die Roman-Story ist äusserst dicht und detailgetreu erzählt. Es lohnt sich aber, sich auf diese Geschichte einzulassen. Beim Lesen wird man unweigerlich in den Bann des Erzählten hineingezogen. Allerdings lichtet sich der Nebel, der über der unseligen Vergangenheit der Weltkriege und insbesondere des deutsch-polnischen Traumas liegt, nur zögerlich. Vieles in den Erzählungen von Joanne Bator bleibt seltsam mysteriös, teils gar mit einem Hang zum Dämonischen und Esoterischen der Historie dieser Zeit entfremdet.
Text, Bild und Radiosendung: Kurt Schnidrig