
„Huldas Vollmond“ ist ein Roman mit Tiefgang. In einer Zeit, in der viel Oberflächliches publiziert wird, weckt Gottlieb Guntern mit einer leicht lesbaren und humorvollen Lektüre die Lebensgeister seiner Leserschaft. Dass er dabei seinen feinen Humor mit subtiler Kritik verbindet, gibt dem Werk einen zusätzlichen satirischen Approach.
Den Mond als gleichberechtigten Partner den Roman-Protagonisten in „Huldas Vollmond“ an die Seite zu stellen, ist nur eines der zahlreichen genialen Kunstmittel, über die das Werk verfügt. Einigen von uns werden die Protagonisten bereits aus früheren Guntern-Romanen bekannt sein. Wer vor Jahren bereits den Roman „Himbeer Hulda“ gelesen hat, der wird lesend mit den Protagonisten ein Wiedersehen feiern können. Die Story vom Spinnerbalz und von dessen Muse Hulda hat Autor Guntern nun überarbeitet und ergänzt.
„Eigentlich ist der Mond ein gleichberechtigter Partner mit der Himbeer-Hulda und mit dem Spinnerbalz, deshalb musste ich den Mond gleich gewichten.“
Gottlieb Guntern im Gespräch mit Kurt Schnidrig
Wie Kolumnen und Kommentare zum Roman-Geschehen schaffen die Mond-Kapitel im Roman eine zweite Ebene. Sie animieren und motivieren uns Lesende dazu, weiterzudenken, das Erzählte zu relativieren, weiterzuspinnen oder auch andere und weitere Zusammenhänge herzustellen. 15-20 Jahre arbeitet der Autor an Themen, die ihn beschäftigen. Das Ergebnis sind erstaunliche literarische Innovationen wie beispielsweise die Mond-Kapitel, die überraschen und faszinieren.
Eine kreative Idee trifft auf eine versteinerte Gesellschaft. Dies die hoch spannende Ausgangslage, ein wichtiger Bestandteil der Exposition, in „Huldas Vollmond“. Es handelt sich um eine Gesellschaft, die in einem kleinen Schweizer Städtchen lebt, in Lismerwil. In Lismerwil wohnt und arbeitet auch Hulda, sie hat sieben Kinder, Kinder, die sie gehörig fordern, Kinder, die ihr alles abfordern. Abends ist Hulda todmüde, fix und fertig. Hulda ist aber eine kreative Frau, und irgendwann hat sie eine zündende Idee, eine fantastische Idee, eine abgehobene Idee, eine Idee, die sie ihrem Kunden, dem Spinnerbalz, anvertraut. Bei manchen Lesenden wird die satirisch beschriebene „geniale technologische Erfindung“ womöglich für Kopfschütteln sorgen. Es sei nur so viel verraten: Der Erfinder Spinnerbalz verschafft dem ermüdenden Tagewerk seiner Muse Hulda mit den sieben Kindern ein befreiende und unerwartete Problemlösung. Hulda und auch viele andere Leidensgenossinnen in Lismerwil haben wieder Zeit für sich selbst und für ihre eigenen Geschäfte.
Eine Satire? Der Roman bringt bestens rüber, was seit geraumer Zeit in der Schweiz abgeht.
„Die Schweiz zieht sich schon seit langem hinter den Gebirgswall der Alpen zurück. Vieles bei uns ist ganz einfach nur guter Durchschnitt.“
Gottlieb Guntern im Gespräch mit Kurt Schnidrig
Der satirische Approach im Roman „Huldas Vollmond“ ist jedoch nur eine Interpretations-Möglichkeit. Der Autor ist Psychiater von Beruf, und wohl auch aus diesem Grund gibt es für ihn gleich mehrere Möglichkeiten, die Menschen zu ergründen und zu verstehen. Sein Werk nähert sich dem Typus der Dürrenmattschen Tragikomödie an.
Ähnlich wie Dürrenmatt und wie vor ihm Bertolt Brecht sollen die Lesenden nicht weiter die Rolle des passiven Konsumenten innehaben. Lesend sollen wir zum eigenständigen Nachdenken angeregt werden. Wie Brecht und wie Dürrenmatt hinterfragt auch Guntern die Widersprüchlichkeit gesellschaftlicher Strukturen, und ebenso charakteristisch sind die tragisch-grotesken Elemente in Gunterns Werk, die Verbindung von scheinbar Unvereinbarem, die sich insbesondere in den ethisch fragwürdigen Erfindungen des Spinnerbalz manifestieren. In der Unübersichtlichkeit unserer modernen Welt wird Schuld verwischt und abgeschoben.
Text, Foto und Radiosendung: Kurt Schnidrig