Ein Roman zeigt nicht nur, was der Autor mitteilen will. Er verrät auch viel über den Autor selbst. Seine Leidenschaften kommen zum Vorschein, seine Sehnsüchte, seine Hoffnungen, aber auch seine Unsicherheiten, seine Vorbehalte, seine Vorlieben, kurz: seine Weltsicht. Nicht immer ist sich der Autor bewusst, dass er seine Persönlichkeit und all sein bisheriges Sein in seine Texte hat einfliessen lassen.
Zwei Jahrzehnte lang arbeitete Gottlieb Guntern an „Huldas Vollmond“. In der Neuerscheinung des Romans, herausgegeben von der SCHNIDRIG VERLAG GmbH, hat die Himbeer-Hulda müde Waden und sieben kleine Kinder, die den lieben langen Tag herumrennen, toben und für viel Betrieb sorgen, so dass sie abends Beine hat, die sich anfühlen wie Blei. Abhilfe tut not. Himbeer-Hulda überkommt „out of the blue“, urplötzlich, eine Idee, die sie als Muse ihrem Spinnerbalz anvertraut. Doch gute Ideen brauchen bekanntlich sehr lange, bis sie Erfolg haben. Darauf baut Autor Gottlieb Guntern eine völlig verrückte Geschichte auf. Von Japan bis San Francisco wundern sich Kulturbeflissene, warum ausgerechnet in der kleinen Schweiz, in der Provinz, ein bisher völlig unbekannter Erfinder, mit Hilfe einer Muse, auf eine derart geniale technologische Entwicklung hatte stossen können. Die geniale technologische Entwicklung lässt das Gefüge des Städtchens Lismerwil aus den Fugen geraten.
Eine Analyse des Romans zeigt, dass Autor Gottlieb Guntern seinen Romanfiguren sehr viel von sich selbst mit auf den Weg gegeben hat, natürlich nicht gebündelt, sondern häppchenweise, auf sämtliche Figuren verteilt, egal ob Protagonist, Antagonist oder Statist. Diese Häppchen, diese Teilchen seines eigenen Lebens-Kosmos, hat er dann, jedes für sich, überspitzt und überbetont ausgebaut.
Der Mond sei ein gleichberechtigter Hauptdarsteller neben der Himbeer-Hulda und neben dem Spinnerbalz, deshalb habe er den Mond gleich gewichten müssen, sagt der Autor. Aus diesem Grund habe er rund 20 kleinere Kapitel dem Mond gewidmet, um seiner Leserschaft zu zeigen, was der Mond so alles kann und tut.
„Menschen sind noch unergründlicher als sämtliche Himmelskörper in den Weiten des Kosmos“, denkt der Mond. Dass Menschen unergründlich sind, hat Psychiater Gottlieb Guntern in Amerika und in der Schweiz anlässlich vieler Einzel-, Paar- und Familientherapien beobachtet. Rückblickend hält er fest: „Je mehr ich Menschen kennengelernt hatte, kam ich zum Schluss: Auf der einen Seite sind sie sehr schnell in ein Schema pressbar. Auf der anderen Seite – wenn man wirklich darüber nachdenkt über das, was sie sagen und darüber nachforscht – erkennt man, wie unergründlich sie sind, und auch ganz unscheinbare Menschen können eine Tiefe aufweisen, die man nie für möglich gehalten hätte.“
Die Kunst der Metamorphose ist womöglich dafür verantwortlich, dass Menschen im wirklichen Leben, aber auch Protagonisten im Roman, eine derart unergründliche Tiefe aufweisen. Wer im Spätherbst des Lebens auf ein erfülltes Leben zurückblicken möchte, der sollte schon sehr früh die Kunst der Metamorphose beherrschen. In seinem Bestseller „Im Zeichen des Schmetterlings“ beschreibt Gottlieb Guntern die Kunst der Metamorphose als die Fähigkeit eines Organismus, dauernd seine Strukturen zu ändern, um vitale Funktionen zu optimieren, ohne bei diesem dauernden Wandel seine Identität zu verlieren.
In „Huldas Vollmond“ trifft eine kreative Idee auf eine versteinerte Gesellschaft, die in einem kleinen Schweizer Städtchen, in Lismerwil, lebt. Kreativität und Inspiration können überall entstehen, häufig auch als Gruppeneffekt. Der Plot in „Huldas Vollmond“ gründet auf einer innovativen, vielleicht etwas skurrilen, aber durchaus erfolgreichen Konfliktlösung. Der Schauspieler Dani Mangisch verstand es hervorragend, mit lebendig, einfühlsam und mitreissend vorgetragenen Passagen das Publikum in den Bann des neuen GG-Romans „Huldas Vollmond“ zu ziehen.
Text und Bilder: Kurt Schnidrig und Greta Guntern-Gallati