Wer erhält den Schweizer Buchpreis 2023? Knisternde Spannung im Theater Basel. Gestern Samstag haben sich die fünf Autor*innen, die von einer Jury auf eine sogenannte „Shortlist“ gesetzt worden sind, im Volkshaus Basel präsentiert. Sie taten dies mit Hilfe einer Moderatorin oder eines Moderators. Das Buch wurde einer Analyse oder einer Interpretation unterzogen. Und natürlich waren auch Kostproben aus den favorisierten Büchern, vorgetragen von den Autor*innen selbst, zu hören und zu begutachten. Nachfolgend meine ganz persönliche Einschätzung der fünf literarischen „Papabili“:
Die Bernerin Sarah Elena Müller begleitet im Roman „Bild ohne Mädchen“ ein traumatisiertes Kind, das einen Kindsmissbrauch erlitten hat. Das gesamte Umfeld des Mädchens verdrängt und vertuscht, was mit dem Kind geschehen ist. Erstaunlich: Das Buch ist ein Erstlings-Roman und hat es sogleich auf die Shortlist des Schweizer Buchpreises geschafft!
Der Basler Adam Schwarz heisst eigentlich Florian Oegerli. Unter dem Pseudonym Adam Schwarz schrieb er ein Buch mit dem Titel „Glitsch“ und ist damit auf der Shortlist gelandet. Was aber ist ein „Glitsch“? Als „Glitsch“ bezeichnen Informatiker einen Software-Fehler, der vor allem in Videospielen auftritt. Ein „Glitsch“ bewirkt, dass die (Spiel-)Figuren verrückte Dinge tun. Und ebendieser „Glitsch“ hat den Basler Adam Schwarz zum Schreiben eines Romans veranlasst. Darin geht es um einen Mann und um eine Frau, die eine Schifffahrt unternehmen. Auf der Schiffsreise ereignen sich unerklärliche und seltsame Ereignisse. Und wer ist schuld daran? Der „Glitsch“ natürlich.
Der Brugger Christian Haller ist mit seinen 80 Jahren ein Methusalem unter den Anwärter*innen auf den Schweizer Buchpreis. Seine Novelle trägt den Titel „Sich lichtende Nebel“. Sein Protagonist ist fasziniert von einer physikalischen Beobachtung: Wie kann eine ganz alltägliche Beobachtung unsere Welt verändern? Der Protagonist in Hallers Novelle ist der Physiker Werner Heysenberg, der sich von einer simplen und alltäglichen Beobachtung hat inspirieren lassen und die sogenannte „Quantenmechanik“ entwickelt hat.
Der Berner Damian Lienhard beleuchtet in seinem Roman „Mr. Goebbels Jazz Band“ ein dunkles Kapitel aus dem Zweiten Weltkrieg. Das NS-Propogandaministerium hatte 1940 eine hauseigene Band gegründet, die Band „Charlie and his Orchestra“. In den Songtexten dieser Band hatten sich die Nazis lustig gemacht über Churchill, Roosevelt und über die gesamte alliierte Militärführung. Es handelt sich dabei um einen problematischen und kontroversen Stoff, romanhaft verarbeitet, aber durchsetzt mit historischen Fakten.
Der Berner Matthias Zschokke lebt bereits seit längerer Zeit in Berlin. „Der graue Peter“, dies der Titel seines Romans. Was passiert, wenn ein Mensch plötzlich keine Gefühle mehr entwickeln und zeigen kann? Was passiert, wenn einem Menschen das Empfindungshormon fehlt? Der Verwaltungsbeamte Peter ist absolut gefühllos. Er kann seine Gefühle und Emotionen nicht mehr zeigen. Das fehlende Empfindungshormon bereitet ihm grosse Angst und Schrecken. Es bereitet ihm Angst, nie mehr wirklich etwas fühlen und spüren zu können. Angst, nie mehr richtig leben zu können. Der Verwaltungsbeamte Peter empfindet sich selbst als lau und als fahl. Die Leute nennen ihn bald nur noch den „grauen Peter“. Und irgendwann hat der graue Peter das Bedürfnis, aus der Grauzone, aus der Anonymität, auszubrechen. Aber dann passiert etwas, was den grauen Peter zu einem ganz anderen werden lässt. Peter entwickelt plötzlich Gefühle.
In einer Internet-Welt, in der heute viele ihre Spuren hinterlassen möchten, in einer Welt, in der jede und jeder dokumentieren möchte, was für ein toller Hecht man doch ist, ist für mich „Der graue Peter“ von Matthias Zschokke ein Favorit für den Schweizer Buchpreis. Mittlerweile hat sich das Theater Basel bis auf den letzten Platz gefüllt. Die fünf Anwärter*innen auf den Schweizer Buchpreis müssen noch eine Stunde ausharren, zittern, bibbern. Wir zittern und bibbern mit ihnen.
Christian Haller gewinnt den Schweizer Buchpreis 2023! Soeben gibt die Jury den Gewinner bekannt: Christian Haller erhält den Schweizer Buchpreis 2023 für seine Novelle „Sich lichtende Nebel“. Die Buchpreis-Jury würdigte Christian Hallers Werk mit treffenden Worten.
„Meisterhaft verdichtet er die komplexen Themen zu einer Novelle, die einfach und verständlich daherkommt und dabei durch gedanklichen Tiefgang ebenso überzeugt wie durch sprachliche Eleganz und Klarheit.“
Aus der Laudatio der Buchpreis-Jury
Herzliche Gratulation an Christian Haller! Wir werden den Autor und sein Werk in einer unserer nächsten Literaturwälla-Ausgaben auf Radio Rottu Oberwallis gebührend würdigen.
Text, Bilder und Radiosendung: Kurt Schnidrig