Den „Literatur-Hängert“ können Sie in ungekürzter Form als Podcast auf pomona.ch/rro jederzeit ungekürzt hören. Nachfolgend eine verschriftliche Fassung.
Natalia Elsig absolvierte eine klassische Ausbildung an der Moskauer Ballettakademie. Seit 18 Jahren unterrichtet sie Ballett im Oberwallis. Zusammen mit ihren Kolleginnen von A+O Tanz ist sie eine der Choreographinnen im Tanztheater «Marry Hutter» (Leitung und Regie: Jeannette Salzmann, Textfassung: Kurt Schnidrig).
Kurt Schnidrig: Natalia Elsig, Sie sind die Ballettmeisterin bei A+O Tanz. Ist Ballett etwas, was die jungen Leute heute noch fasziniert?
Natalia Elsig: Von der Ausbildung her bin ich eine klassische Ballerina gewesen. Ich habe in Moskau in Balletrevue abgeschlossen. Ich mache also jetzt das, was ich gelernt habe. Für mich ist das Tanzen mein Leben.
Heute Abend führen wir „Marry Hutter“ auf. Auch Literatur ist bei dieser Aufführung mit dabei. Das Stück geht auf eine literarische Vorlage zurück. Literatur auf der Tanzbühne – War das für Sie immer schon ein Thema?
Ja, das war immer ein Thema. Jedes Stück wird auf der Grundlage eines Librettos gemacht. Es gibt Libretti, die aus einem Buch, aus einem Roman zum Beispiel, genommen werden. Ich finde es wichtig, dass auf der Bühne solche Stücke aufgeführt werden. Die Geschichte, die Literatut, muss in diesem Fall durch die Bewegung reinkommen. Das Publikum muss verstehen, um was es geht. Der Text hinter dem Stück ist sehr wichtig.
Das Publikum muss verstehen, um was es geht, sagen Sie. Mir persönlich ist heute die Rolle des Erzählers in diesem literarischen Tanztheater zugefallen. Wären die Leute, die das Stück besuchen kommen, selber imstande das Stück einzuordnen?
Beim Stück „Marry Hutter“, das wir heute präsentieren, sollte schon ein Text von einem Erzähler hinzukommen. Wir dürfen nicht vergessen: Das ist auch eine Schüleraufführung. Es ist wichtig, dass jemand die Rolle des Erzählers übernimmt und uns diesen roten Faden zur Aufführung gibt.
In „Marry Hutter“ geht es teils auch um sehr abstrakte Begriffe wie „Rachsucht“, „Neid“ oder „Verlogenheit“ – wie kann man sowas tänzerisch auf die Bühne bringen? Wie darf man sich das von der Choreographie her vorstellen?
Bei Themen wie „Arroganz“ oder „Rachsucht“ müssen wir uns tatsächlich sehr gut überlegen, wie wir sowas darstellen können. Da ist auch besonders wichtig, dass wir auf die Gefühle eingehen. Was meinen diese abstrakten Begriffe ganz genau? Wir versuchen auch mit kleinen Gegenständen das Tänzerische in einem solchen Fall zu unterstützen. Wir versuchen auch, die Schattenseiten eines Menschen darzustellen. Es geht darum, dass das Publikum diese Charaktereigenschaften eines Menschen verstehen kann. Alles muss in ein Gesamtbild integriert werden, so dass es ja niemand falsch versteht.
Über hundert junge Frauen und auch Kinder stehen auf der Bühne. Wie schaffen Sie es, solch schwierige Inhalte ihren Schülerinnen beizubringen? Ist das nicht eine Welt, in der die heutigen jungen Menschen nicht mehr leben?
Unsere Schülerinnen besuchen die Schule schon jahrelang. Sie sind sehr gut vorbereitet. Für eine Aufführung im April beginnt die Probenarbeit schon im September. Das Stück hat also eine lange Probenarbeit hinter sich, bis es präsentiert werden kann. Die Schülerinnen machen da mit grossem Einsatz mit. Es ist wichtig, dass sie genau wissen, um was es geht. Es kommt Schauspiel dazu mit Mimik und mit Körpersprache.
Als Autor und Texter des Stücks komme ich immer wieder ins Staunen. Ich bewundere die Choreographinnen. Wie die den Text umsetzen – faszinierend! Was sind denn die wichtigsten Aufgaben einer Choreographin? Worauf hat eine Choreographin ganz besonders zu achten?
Zuerst ein Dankeschön an Sie, Kurt Schnidrig, Ihr Text ist für uns Choreographinnen wie ein Libretto. Wir gestalten daraus Szenen, die wir mit Text und mit Pantomime kombinieren.
Faszinierend sind auch immer diese wundervollen Kostüme. Ich bin immer so gespannt: Wie sehen meine Figuren, die ich entworfen habe, aus? Ist da die eigene Fantasie vorherrschend? Oder gibt es dafür irgendwelche Vorlagen?
Wenn wir den Text erhalten, passen wir ihn auf die Gruppen von Tänzerinnen an, die wir haben. Für jede Gruppe wird eine passende Szene ausgesucht. Dann überlegen wir auch: Wie können wir mit dieser Gruppe diese Szene darstellen? Dann widmen wir uns der Frage der Kostümierung. Zuerst schauen wir in unserer Garderobe nach: Was haben wir schon? Und dann müssen wir dazukaufen, was uns an Kostümen noch fehlt. Die Kostüme müssen perfekt zum Stück und zu den Szenen passen. Das ist eine spannende und kreative Arbeit.
Natalia Elsig, Sie waren selber auch Primaballerina, sie haben selber auch in grossen Theatern getanzt… Was alles haben Sie persönlich getanzt?
Zuerst: Ich bin keine Primaballerina, aber ich bin eine ausgebildete Ballerina. Mehr als fünf Jahre lang habe ich getanzt in grossen Balletten wie „Schwanensee“, „Giselle“ und anderen.
Nach Tschaikowskys „Schwanensee“ jetz „Marry Hutter“ mit Schülerinnen: Ist das für Sie als studierte Ballerina nicht ein wenig allzu leichte Kost?
Wir haben sehr gute Schülerinnen. Mit ihnen lassen sich auch schon recht schwierige Stücke aufführen. Es muss auch Spass bereiten. Natürlich könnte man auch immer noch mehr versuchen und noch mehr machen. Aber wir sind sehr zufrieden. Wir sehen den Fortschritt, den Progress. Mit unseren Schülerinnen lässt sich ein auch gutes und anspruchsvolles Stück aufführen. Die Schülerinnen sind darauf bestens vorbereitet. Alles braucht seine Zeit. Aber irgendwann ist es an der Zeit, das eigene Können an die jungen Leute weiterzugeben.
Was ist Ihre Erfahrung mit den jungen Leuten? Werden einige von Ihnen das Tanzen in Zukunft professionell ausüben? Oder tanzen sie einfach aus Spass?
Der grösste Teile unserer Schülerinnen tanzt aus Spass. Tanzen ist ihr Hobby. Und es ist dann natürlich gut, wenn das Hobby auf einem guten Niveau stattfindet. Wir haben aber auch einige junge Frauen, die das Tanzen zu ihrem Beruf machen werden. Mit ihnen üben wir 13-15 Stunden pro Woche,
Eine schwierige Entscheidung ist auch immer zu treffen: Wer spielt die Hauptrollen? Ein heikles Thema?
Ja das ist tatsächlich ein heikles Thema. Um herauszufinden, wer sich für die Hauptrolle am besten eignet, haben wir einen Wettbewerb gemacht. Die Kinder und die jungen Frauen können sich anmelden für eine Rolle, die sie gern tanzen möchten. Wir haben dann eine Jury mit professionellen Tänzerinnen und Tänzern organisiert. Die Jury hat dann gewählt. Für welche Schülerin passt welche Rolle? Die Schülerinnen müssen den Entscheid akzeptieren. Die Jury war von der Schule unabhängig. Ich denke, dass die Jury eine gute Wahl getroffen hat.
Was wäre ein literarisches Tanztheater ohne die Musik! Welche Rolle spielt die Musik beim Tanzen? Soll die Musik primär den jungen Menschen gefallen oder muss die Musik vor allem zum Tanz passen?
Man kann ein Tanzstück auch ganz ohne Musik auf die Bühne bringen. Beim Tanzen gibt es auch viele experimentelle Versuche. Die Musik ist aber grundsätzlich sehr wichtig beim Tanzen. Die Musik drückt nämlich Emotionen aus. Zum Tanz versuchen wir passende Musik zu finden. Die Musik muss eine tänzerische Situation richtig ausdrücken und wiedergeben können. Die Musik muss aber auch den Schülerinnen gefallen.
Wenn Sie jetzt noch einen Wunsch frei hätten für ein Tanztheater – was schwebt Ihnen da vor? Haben Sie noch irgendwelche Träume und Wünsche, die Sie irgendwann als Choreographin realisieren möchten?
Ich liebe Schwanensee. Ich mag alle vier Akte. Das ist wunderschöne Musik mit einer wunderschönen Geschichte. Das ist mein Lieblingsstück. Mein grösster Wunsch aber wäre noch, dass wir in der Tanzschule ein Stück erarbeiten, das längere Zeit aufgeführt werden könnte. Es sollte ein Stück sein, dass wir immer wieder in einem Theater präsentieren könnten. Wir haben jetzt gute Schülerinnen, wenn diese nun noch weiter trainieren und sich weiter entwickeln, kann man mit ihnen ein Stück kreieren, das nicht bloss an einem Wochenende aufgeführt werden kann. Ein Stück also, das man immer wieder aufführen kann. Das wäre mein Wunsch.
Den „Literatur-Hängert“ mit der Ballerina Natalia Elsig können Sie ungekürzt als Podcast hören auf pomona.ch/rro.
Text, Bild und Radiosendung: Kurt Schnidrig