
Fasnachtsgesellschaften haben nicht selten eine alte Sage als Grundlage für ihr fasnächtliches Treiben. So auch die Natischer Drachentöter. Doch wer kennt schon die Sage vom schrecklichen Drachen im Naterloch hoch über Naters?
Hoch über Naters, in einer Höhle, im sogenannten Naterloch, hauste ein Drache. Mit seinem giftigen Atem hatte er ringsum die Menschen und das Vieh magisch in seinen Bann gezogen und aufgefressen. Das gesamte Dorf Naters hatte er terrorisiert.
Viele tapfere Ritter mussten den Versuch, das Ungeheuer zu erledigen, mit ihrem Leben bezahlen. Nun begab es sich jedoch, dass zu jener Zeit in Naters ein Mann zum Tode verurteilt wurde. Der Name des Todgeweihten war Jozzelin.
Die Natischer fassten den Plan, dem zu Tode Verurteilten die Chance zu geben, sich zu rehabilitieren. Wenn sich Jozzelin dem Drachen entgegenstelle würde, sollte er am Leben bleiben dürfen.
Jozzelin versuchte sein Glück im Gegensatz zu seinen beklagenswerten Vorgängern mit einer ausgeklügelten List. Jozzelin liess sich beim Schneider eine Rüstung aus Leder anfertigen. In das Leder arbeitete er sehr viele kleine Dolche ein.
In dieser Rüstung und mit einem Schwert in der Hand stellte sich Jozzelin dem furchtbaren Drachen entgegen. Es kam, wie es kommen musste: Das Ungeheuer verschlang den armen Jozzelin. Während des Hinunterschlingens zerfetzten die im Ledergewand eingenähten Dolche dem Ungeheuer den Rachen, was dieses nicht überlebte.
Mit dem scharfen Schwert schnitt sich Jozzelin aus dem Bauch des Drachen frei. Weil er mit seiner Heldentat das ganze Dorf Naters von einer fürchterlichen Plage befreit hatte, schenkten ihm die Natischer das Leben. Zusammen feierten sie ein Fest, so grossartig, wie es die Dorfbewohner noch nie erlebt hatten.
Soweit die Sage. Der Drache lässt seither sein Brüllen auf den Fasnachtswagen der Drachentöter erschallen. Dazu speit er Feuer und Rauch. Die Frage sei erlaubt: Kann der schreckliche Drache auf den Fasnachtswagen bei sensiblen Personen oder bei Kindern auch Angst und Panik auslösen?
Tatsächlich hat sich eine Pädagogin zu dieser Problematik ihre Gedanken gemacht. Sie hat dazu sogar ein Bilderbuch veröffentlicht. Cornelia Zahner heisst die Lehrerin, und ihr Kinderbuch trägt den Titel „Ronni vom Rhonegletscher“.
Ronni im Bilderbuch von Cornelia Zahner ist ein liebenswerter Drache. Kann man das Bild vom schrecklichen Drachen mit einem Bilderbuch korrigieren? Autorin Cornelia Zahner ist sich sicher: „Das Verhältnis der Menschen zu den Drachen in der Literatur ist kein gutes.“
Deshalb lässt Corneila Zahner in ihrem Bilderbuch einen lieben Drachen agieren, und zwar so, dass man die Geschichte „Ronni vom Rhonegletscher“ den Kindern sogar als Gutenacht-Geschichte vorlesen kann.

Versetzen Drachen und Monster die Kinder tatsächlich in Angst und Schrecken? Sind derartige Horror-Wesen der kindlichen Entwicklung vielleicht sogar abträglich?
Aus literarischer und psycholgischer Sicht lässt sich dazu sagen: Wenn ein Kind seine Ängste in Sicherheit oder vielleicht sogar mit Hilfe eines Buches ausleben kann, kann dies sogar ein heilsamer Prozess sein.
Das Kind weiss, dass die Geschichte glücklich endet, und es kann auf diese Weise lernen, mit seinen Ängsten umzugehen. Das Kind kann Widerstandskraft aufbauen, in der Psychologie existiert dafür der Fachausdruck „Resilienz“.
Wir Erwachsenen sollten sogar hin und wieder den Kindern hilfreiche Strategien mit auf den Weg geben, die ihnen zeigen, wie sie zielführend mit ihren Ängsten umgehen können. Die Märchen aus früherer Zeit bezwecken eine ähnliche Strategie. Auch in der Märchenliteratur finden sich grausame und schockierende Geschichten.
Resilienz und Widerstandskraft lässt sich vermitteln, indem wir den Kindern zum Beispiel aus Bilderbüchern, welche den erfolgreichen Umgang mit der Angst thematisieren, vorlesen und erzählen.
Eine vergleichbare Wirkung kann der Besuch eines Fasnachts-Umzugs mit Drachen, Monstern und „Tschäggäta“ auslösen, denn auch ein Fasnachts-Umzug hat schliesslich ein versöhnliches Ende.
Text, Bild und Radiosendung: Kurt Schnidrig