Jesuitenpater und Zen-Meister Niklaus Brantschen mit seinem neuen Buch in der ZAP Brig: „Du bist die Welt – Schamanischer Weisheit auf der Spur“

Jesuitenpater, Zen-Meister und Autor Niklaus Brantschen (links) mit seinem Assistenten, Zen-Schüler und Moderator Roland Hischier (Bild: Kurt Schnidrig)

Niklaus Brantschens neues Buch „Du bist die Welt“ ist sowohl christlich als auch schamanisch. Schamanisch? Zum Schamanismus haben nicht wenige Menschen ein verspanntes Verhältnis, denn Schamanismus ist uns fremd und alles Fremde ist uns nicht selten auch suspekt.

Zwar sprechen viele von der Notwendigkeit eines interreligiösen Dialogs, aber schamanische oder indigene Kulturen werden da nur höchst selten mit einbezogen. Wohl auch aus diesem Grund begibt sich Niklaus Brantschen in seinem Büchlein auf Spurensuche. „Schamanischer Weisheit auf der Spur“, dies der Untertitel.

Die Spurensuche verfolgt der Autor zurück bis zu den Wurzeln der Menschheit. Was wollen wir? Was möchten wir sein? Bei der Suche nach Antworten auf derartige Fragen habe ihn ein Gedicht von Peter Härtling inspiriert, erläutert Brantschen:

… denn wir werden mit den Bäumen zurückwachsen in die Wurzeln, mit den Strömen umkehren zum Berg, mit den Steinen weich werden im Feuer und endlich erzählen können, was wir sein wollten. (Peter Härtling)

Was hat der Mensch als die „Krone der Schöpfung“ mit der Welt und den Lebewesen auf dieser Welt angestellt? Er beutet sie aus, ganz nach dem missverstandenen Bibelspruch „Macht euch die Erde untertan.“ Die Bibelstelle, die den Satz „macht euch die Erde untertan“ enthält, ist 1. Mose 1:28. Dort steht: „Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan.“

„Wir spüren schmerzlich die Entfremdung von unserer Erde und wir suchen verzweifelt nach neuen Wegen.“ – Niklaus Brantschen sprach in der ZAP Brig vielen aus dem Herzen (Bild: Kurt Schnidrig)

Doch eigentlich seien es die Pflanzen und die Bäume, die „Welt machen“, schreibt der Autor. Dabei ist mit „Welt“ alles gemeint, was uns umgibt, was wir benutzen, was uns ernährt. Niklaus Brantschen ist inspiriert von Naturphilosophen, von Wilhelm von Conches zum Beispiel. Stolz auf seinen Geist, geht der Mensch hoch erhobenen Hauptes durchs Leben und vergisst dabei nicht selten die Wurzeln, die Bodenhaftung.

Bereits um 1800 hat der Dichter Novalis formuliert, was auch für uns Heutige selbstverständlich sein sollte, dass nämlich alles beseelt und untereinander verbunden ist. Derartige Menschen „ticken schamanisch“, schreibt Niklaus Brantschen.

Weshalb sich Jesuitenpater und Zen-Meister Niklaus Brantschen nun mit 88 Jahren noch auf die Spuren des Schamanismus begibt? Seine Nichte – sie ist Masseurin, Qi Gong- und Bachblüten-Expertin – hat die schamanistische Spurensuche ihres Onkels eingeleitet. Sie hat ihn regelmässig besucht als er krank darnieder lag und hat ihn behandelt. Sie sei jedoch keine „Hexe“ wehrt Brantschen ab, nein, sie sei eine „Schamanin“.

Das Christentum habe Schamanismus und indigene Spiritualität lange Zeit mit Zauberei gleichgesetzt, weiss der Autor. Einige würden den Schamanismus als unzivilisiert oder sogar als teuflisch abtun. Demgegenüber boome jedoch Naturspiritualität: Wir spüren schmerzlich unsere Entfremdung von der Erde und wir suchen verzweifelt nach neuen Wegen.

Brantschen mahnt Respekt gegenüber der Sicht indigener Völker an, so wie dies unter anderem der französische Anthropologe Philippe Descola bereits getan hat. Der Titel seines Standardwerks spreche für sich: „Jenseits von Natur und Kultur“. Descola gehe von der Verwandtschaft aller Dinge und Wesen aus und räume mit der gängigen Zweiteilung von Natur und Kultur auf, denn alles sei mit allem verbunden.

Niklaus Brantschen fragt sich und er fragt uns: Könnten neue Wege nicht vielleicht sogar die sehr alten Wege sein? Wege, welche die Weisheit indigener Kulturen, auch des Schamanismus, für die Heutigen nutzbar machen? Doch diese Rückwendung brauche Zeit, räumt Brantschen ein: „Es ist wie kalte Hände am Ofen, es braucht Zeit, bis sie warm werden.“ Es brauche unsere Bereitschaft, sich Zeit zu nehmen.

„Könnten neue Wege nicht vielleicht sogar die sehr alten Wege sein?“, fragt Niklaus Brantschen sein (Lese-)Publikum und empfiehlt eine Rückkehr zur Weisheit indigener Kulturen und insbesondere des Schamanismus (Bild: Kurt Schnidrig)

Auch das Nichtstun kann anspruchsvoll und förderlich sein. Zuweilen gebe er den Rat: „Tun Sie nichts, und das mit ganzem Herzen“, sagt Niklaus Brantschen. Der Autor spricht damit an, was heutzutage mit der Tätigkeit des „Entschleunigens“ umschrieben wird.

Nicht selten setzt sich der Autor in seinem Buch über Tabus und über imaginäre Grenzen hinweg. Grenzüberschreitungen kennen wir bereits auch aus seinem Vorgänger-Buch „Gottlos beten“. Das Ausloten von Möglichkeiten sei ihm zugestanden. Als Zen-Praktizierender und christlicher Autor ist er geradezu prädestiniert, sich auch fremden Kulturen, dem Schamanismus beispielsweise, anzunähern.

Die Frage drängt sich auf: Hat denn unsere Religion versagt? Braucht es einen modernen Lifestyle, damit wir überhaupt noch eine Überlebenschance haben? Niklaus Brantschen fragt zurück: Was ist vor den Religionen gewesen? Von indigenen Völkern liesse sich lernen. Die schamanische Weisheit lehre beispiesweise, dass das Leben rund sei. Wir sitzen gerne in einer Runde, wir sassen früher rund ums Feuer.

Wer den Schamanismus als „Neuheidentum“ abtun oder ihn gar in die Esoterik-Ecke abschieben möchte, der mache es sich viel zu einfach, gibt sich Niklaus Brantschen überzeugt. Denn die Bräuche und die Rituale der Schamanen seien auch eine Einladung an uns, unseren Lebensstil und unseren Umgang mit der Mitwelt zu überdenken und neu zu gestalten. Vielleicht entstehe daraus vielleicht sogar eine Religion der Zukunft, gibt der Autor zu bedenken.

Schamanen identifizieren beispielsweise die Ruhelosigkeit vieler Zeitgenossen als eine „gestörte Beziehung zu den Ahnen“. Mit den Ahnen in Verbindung zu sein, lohne sich aber, sagt Brantschen. Man denke nur an das Fest der Toten, wie es beispielsweise in Ländern wie Mexico gefeiert werde.

Was aber ist ein richtiger Priester? Niklaus Brantschen wartet mit einer überraschenden Antwort auf diese rhetorische Frage auf. Ein richtiger Priester sei nicht einer, der die Messe in lateinischer Sprache lese oder der auf ewige Wahrheiten poche. Zurück zum Latein sei zu wenig radikal. Eine Rückkehr in Zeiten vor dem Latein sei angesagt. Und: „Ein guter Priester ist einer, der heilsam ist“, schlussfolgert Brantschen.

„Ich bin in den Schamanismus eingetaucht, weil ich eine Antwort suchte auf die Frage: Wie schmeckt das Leben?“, erläutert Niklaus Brantschen in der ZAP Brig (Bild: Kurt Schnidrig)

„Haben Sie selbst schamanische Rituale erlebt?“, fragt nach der Buchpräsentation ein Zuhörer. „Ich habe das Buch geschrieben ohne Schwitzhütte und ohne das animalische Dasein“, gesteht Brantschen, aber er habe viel studiert und darüber gelesen. Er sei lediglich in den Schamanismus eingetaucht, erläutert Brantschen, weil er eine Antwort auf die Frage gesucht habe: Wie schmeckt das Leben?

Das sei nun eine so gute Frage gewesen, es sei jetzt genug, sagt urplötzlich Niklaus Brantschen. „Äs längt!“ Der Autor lässt sein Publikum fragend zurück. Dabei kommt mir Bertolt Brecht in den Sinn: „Der Vorhang zu und alle Fragen offen.“ (Aus dem Epilog zum Parabelstück „Der gute Mensch von Sezuan“.) Da gibt es nur eins: Lesen!

Hören Sie dazu den Podcast aus der Sendung Literaturwelle von Radio Rottu Oberwallis (Quelle: rro / Kurt Schnidrig / Jonas Vomsattel)

Text, Bilder und Radiosendung: Kurt Schnidrig