Stolz durfte ich am rro-Frühlingsfest mit Laila Zurbriggen die diesjährige Preisgewinnerin des prestigeträchtigen Schreibwettbewerbs präsentieren. Vor genau 25 Jahren war der Schreibwettbewerb am Kollegium Brig aus der Taufe gehoben worden. Zufall oder nicht – auch der diesjährige Siegertext „Auge um Auge mit dem Ich“ befasst sich mit einem Alter Ego, das um 25 Jahre gealtert ist. Es handelt sich um das Alter Ego der Ich-Erzählerin. Laila Zurbriggen hat einen philosophischen Text verfasst, der literarisch überzeugt, vor allem auch deshalb, weil er die Befindlichkeit von jungen Leuten sehr präzise und nachvollziehbar rüberbringt.
Eine junge Frau schlägt die Augen auf, erblickt den Wecker. Sie versucht wieder einzuschlafen. Allein, denn seit dem 12. Lebensjahr hat sie die eigene Erziehung selber übernommen. Nun ist sie ein 17-jähriges Mädchen, das seine Umgebung als allzu langweilig und perfekt wahrnimmt. Als die Schlafende eine blonde Frau wahrnimmt, die sitzend auf einem Esszimmer-Stuhl zu sprechen beginnt, ist die Vorstellungskraft der Leserschaft gefordert. „Ich bin du in 25 Jahren“, sagt die blonde Frau, und es entwickelt sich ein Gespräch zwischen dem Alter Ego und einer heutigen Frau. Beängstigend wirkt, wenn Ego und Alter Ego auf entwicklungspsychologische Zusammenhänge zu sprechen kommen. Worüber sollen die beiden Egos sich austauschen? Über Träume vielleicht oder über Reisepläne? Beinahe programmatisch erscheint im Gespräch eine rebellische Botschaft: Leute, bleibt spontan. Leute, lasst euch nicht in ein Muster zwängen!
Sie spiele Klavier und schreibe Texte, und dies auch gerne in der Freizeit, versicherte uns Laila Zurbriggen im rro-Frühlingsfest-Talk. Beim Schreiben bevorzuge sie eher die kurze Form von Geschichten und Erzählungen.
Ihr philosophischer Text wird dem humanistischen Anspruch des Briger Gymnasiums gerecht. Die Macht der Worte und der gekonnte Umgang mit der deutschen Sprache hat zurecht einen sehr hohen Stellenwert im Studienprogramm.
Als Experte für die Maturitätsprüfungen im Fach Deutsch freue ich mich jetzt schon auf die jungen Texte, die mich im Juni bewegen und faszinieren werden – wie auch schon in den Jahren zuvor. Und ich bin mir sicher, dass sich unter den Matura-Aufsätzen auch dieses Jahr wieder viele lesenswerte Trouvaillen befinden werden. Auch wenn sie nicht alle mit Preisen ausgezeichnet werden können.
(Bild: Laila Zurbriggen im Talk mit Kurt Schnidrig, anlässlich des literarischen Frühlingsfests, live aus dem rro-Studio Barrique in Eyholz. Foto: Valérie Schnidrig).