Im Bahnhof Brig traf ich sie. Sie kam aus Santa Fe, New Mexico. Seit vielen Jahren ist sie eine der erfolgreichsten Schriftstellerinnen der Schweiz. Seit sie nach Amerika ausgewandert ist, wirkt sie glücklicher. Die filmreife Landschaft im Wilden Westen der USA beflügelt ihre Kreativität. Milena Moser ist angekommen. Sie strahlt. Ihr Lächeln spricht Bände. Die Literaturkritik ist sich für einmal einig. Ihr Amerikaroman „Land der Söhne“ ist ihr bisher bestes Buch.
Das Tragikomische blieb in der Schweiz. Die Schweiz ist für Literaten ein seltsames Land. Zu kleinkarriert, mit zu wenig Entwicklungsmöglichkeiten. Jeder Studierende wird sich dessen bereits auf der Universität bewusst. Mindestens ein Auslandsemester muss schon sein. Weg aus der Enge, weg aus der Spiessigkeit. Dem Neid, der Bespitzelung, dem Überangebot entfliehen. Bereits das nationale Urgestein Friedrich Dürrenmatt schrieb, die Tragikomödie sei die einzige literarische Form, um unser Land ertragen zu können. Milena Moser lebte und schrieb tragikomisch, solange sie in der Schweiz war. Ihre früheren Bücher stehen ganz in der Tradition der Dürrenmattschen Tragikomödie. Die Titel allein sprechen schon Bände: „Die Putzfraueninsel“, „Blondinenträume“, „Das Faxenbuch“, „Schlampen-Yoga“ oder „Stutenbiss“. Seit dem Jahr 2015 bricht sie mit dem Tragikomischen. Es ist dies das Jahr, als sie nach New Mexico auswanderte. Jetzt heissen ihre Bücher „Das wahre Leben“, „Das Glück sieht immer anders aus“, „Hinter diesen blauen Bergen“ und eben ganz aktuell „Land der Söhne“.
Den amerikanischen Traum träumen. Ob Amerika denn für sie immer noch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten sei, wollte ich von Milena Moser wissen. Sie lächelt ihr gewinnendes Lächeln und wiederholt, was fast wörtlich so in ihrem Roman steht. Ein Vater erklärt da seinem Sohn, auf welchem Fundament Amerika ruht: „auf Lügen. Auf Tricks. Auf Verträgen, an die sich keiner hielt. Sklaverei. Ungerechtigkeit. Und trotzdem, das ist das Wunder. Trotzdem ist Amerika das Land geworden, in dem jeder eine Chance hat. In dem alles möglich ist.“ (Land der Söhne, S. 42). Milena Moser hat in Amerika ihre neue Chance wahrgenommen. Sie lebt ihn, den „American Dream“.
Hollywood, die Traumfabrik, produziert auch heute noch Stars wie in den „Golden Fifties“. Zumindest ist dies der Fall im neuen Milena-Moser-Roman. Für Luigi, der als kleiner Junge nach Amerika ausgewandert war, beginnt in Hollywood ein Traumstart als Filmproduzent. Und sein Sohn Giò tritt in seine Fussstapfen. Der Film „Wüste ohne Wiederkehr“ hatte sie beide in Hollywood verankert. Es war dies der erste ihrer sogenannten realistischen Western gewesen, eine ungeschönte Geschichte ohne Helden und Bösewichte.
Auch ein Hippie-Roman. Es geht im neuen Buch von Milena Moser um viel Grundsätzliches, um Philosophisches auch. Es geht ums Erwachsenwerden. Es geht auch um die Frage: Welchen Preis hat ein Leben in Freiheit? Was alles müssen wir opfern, um ein Leben in Freiheit verbringen zu können? So treffen wir in dieser Geschichte auch auf eine Mutter, die als Hippie-Aussteigerin auf einem mittlerweile stillgelegten Internatsgelände die freie Liebe probt. Sie lässt ihren Sohn in der Kommune zurück, um woanders ihre Selbstverwirklichung zu suchen. Ja, wie geht eigentlich Selbstverwirklichung?
Selbstverwirklichung. Vielleicht ist dies das grosse Thema der Schriftstellerin Milena Moser. Muss man nach Amerika auswandern, um sich selbst verwirklichen zu können? Vielleicht. In Santa Fe hat sich Milena Moser ein Haus gekauft, das sie allein bewohnt. Sie will bleiben. Sie will sich dort ganz dem Schreiben widmen. Hier, in Santa Fe, erteilt sie auch ihre berühmten Schreibseminare. Zum Abschied lädt sie mich ein. Es habe noch Platz, drüben in Santa Fe, in einem ihrer Schreibseminare… Darüber will ich nachdenken. Und damit ich es nicht vergesse, schreibt sie mir eine Widmung ins Buch.
Die Begegnung mit Milena Moser lässt mich nachdenklich zurück. Einfach mal alles hier liegenlassen und ab über den grossen Teich. Vielleicht nicht für immer. Aber ein Schreibseminar bei Milena Moser? Da drüben hinter diesen blauen Bergen? In dieser filmreifen Landschaft sich inspirieren lassen? Im Roman lese ich, wovon ich träume: „Endlich auf dem Highway Richtung Süden fahren, nach Santa Fe. Für eine Million kriegst du hier eine richtige Villa. Wir könnten unser Haus verkaufen und hier bis ans Ende unserer Tage glücklich und sorglos leben.“ (Land der Söhne, S. 409).
Text und Fotos: Kurt Schnidrig