Für viele war Simone Lappert der Publikumsliebling anlässlich der Verleihung des Buchpreises in Basel. Nebst einem brisanten Thema überzeugt ihr Buch „Der Sprung“ mit einer graziösen, leichten und sehr flüssigen Sprache. Sprachlicher Rhythmus und Klang sind bei ihr ebenso wichtig wie das Erzählte selbst. Damit unterscheidet sich Simone Lappert fundamental von der bruchstückhaften und für viele Leser auch ermüdenden Sprache im Werk „GRM. Brainfuck“ der Buchpreis-Gewinnerin Sibylle Berg. Und während sich Sibylle Berg beim Lesen und Talken hinter Wassergläsern und Blumensträussen verkroch, eroberte Simone Lappert mit mutigen schauspielerischen Einlagen die Herzen des Publikums.
Beeindruckende Performance. Da stand Simone Lappert am Bühnenrand und es schien, als würde sie den „Sprung“ aus ihrem gleichnamigen Roman nun gleich nachvollziehen. Frei rezitierte sie aus ihrem Roman die titelgebende Szene. Zum Verständnis hier kurz zum Inhalt. Der Roman greift fiktionalisierend ein dramatisches Ereignis auf: Eine Frau steht auf dem Dach eines Hauses und weigert sich, herunterzukommen. „Spring doch!“, rufen ihr erboste Passanten zu. Und eine Zuschauerin versteigt sich sogar zur bitterbösen Aufforderung: „Die da oben sollte man erschiessen!“
Voyeure und Paparazzis. Warum lockt eine dramatische Szene so viel schaulustiges Volk an? Warum zücken viele sogar das Handy, um eine menschliche Tragödie zu fotografieren und zu filmen? Das sind Fragen, die Simone Lappert in ihrer Erzählung aufgreift und verarbeitet. Es handle sich dabei um ein altbekanntes Phänomen in unserer Kulturgeschichte, erklärt uns die Autorin. Bereits die Gladiatorenkämpfe im Alten Rom lockten viel schaulustiges Volk an, später auch die Hexenverbrennungen. Das Volk giert nach dem Schrecklichen und geilt sich am Unglück der Mitmenschen auf.
Die Hypothese der mittleren Störungsaktivität. In Simone Lapperts Roman heisst die Frau, die oben auf dem Dach steht, Manu. Und Manu ist eine Störgärtnerin. Der Begriff ist zweideutig. Manu bietet ihre Dienste auf Balkonen und in Blumenbeeten an. Aber sie „stört“ auch, indem sie eines Tages aufs Dach eines Hauses steigt und die Passanten in Atem hält. Springt sie oder springt sie nicht? Simone Lapperts Buch ist jedoch kein Buch über Suizid, im Gegenteil, es ist ein Buch über das Leben geworden. Doch manchmal braucht es eine Störung, damit man sich „entwickeln“ kann. „Dort, wo eine Lawine niedergegangen ist, wird die Erde am fruchtbarsten“, erklärt die Autorin ihrem staunenden Publikum.
Eine faszinierende Autorin. Im Gespräch mit Simone Lappert klären sich auch noch die letzten Fragen, die mich beim Lesen von „Der Sprung“ beschäftigt haben. Warum belässt es Simone Lappert bei der „Störung“, warum lässt sie die Frau auf dem Dach stehen und bietet keine Lösung an? Sie möchte es bei der Störung belassen, sagt die Autorin, „ich möchte die Störung nicht stummschalten“. Die Fragen sollen die Leser weiterhin beschäftigen: Warum löst ein Mensch in einer tragischen Situation sowas aus? Warum reagieren die Passanten derart verstört und menschenfeindlich in derartigen Situationen? Das Buch sei ein „Wimmelbuch“, denn es wimmelt darin von Fragen, die uns alle beschäftigen sollten. So gesehen, ist Simone Lapperts Buch „Der Sprung“ auch eine Frage- und Auslegeordnung.
Erste Schweizer Autorin bei „Diogenes“. Simone Lappert hat es als erste Schweizer Autorin geschafft, ihr Buch „Der Sprung“ beim renommierten Verlagshaus Diogenes zu veröffentlichen. Und dabei ist dieser Roman gerade erst ihr Zweitling. Zuvor war sie „verlagsobdachlos“, wie Simone Lappert gestand. Ein Geheimnis ihres Erfolges besteht wohl darin, dass sich die Autorin ihre Figuren „erschreibt“: Es handelt sich bei den Protagonisten meist um Personen aus dem Alltagsleben. Während des Schreibens aber würden sich Abgründe auftun, die Figuren entwickeln dann ein Eigenleben, verrät sie.
Text und Fotos: Kurt Schnidrig