„Bittersüsse Zitronen“ heisst der neuste Band aus der Serie der Capri-Krimis, der unsere Sehnsucht nach dem Süden nach den langen Wochen der Pandemie befeuern soll. Der Diogenes Verlag kommt damit dem Wunsch nach einem Tapetenwechsel entgegen. Das Verlangen nach Urlaub auf einer Insel, unter Palmenwedeln und mit Meeresrauschen, ist bei vielen von uns während des Lockdowns aufgekeimt. Bereits beim Lesen der Capri-Krimis ist Ferien-Feeling pur für wenig Geld zu haben. Vordergründig als Krimi konzipiert, bemühen sich die Capri-Krimis zusätzlich, die Sorge um eine bessere Zukunft der Weltmeere ins Zentrum zu rücken.
Die Insel Capri steht exemplarisch für die deutsche Italien-Sehnsucht, die oftmals nach einer Krise besonders aufflammt. Die Sehnsucht nach dem Süden, die gegenwärtig nach den Monaten der Pandemie zu beobachten ist, hatte besonders intensiv in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Ausdruck in zahlreichen romantischen Schlagern gefunden. Der deutsche Komponist Gerhard Winkler schrieb das Lied von den Capri-Fischern im Jahr 1943. Die Wiedergabe im damaligen deutschen Rundfunk wurde jedoch verboten, weil die US-Armee im September 1943 bereits auf Capri gelandet war. Vielleicht ist dies mit ein Grund, weshalb sich die romantisch-banalen Zeilen zutiefst ins Gedächtnis vieler Deutscher, Österreicher und Schweizer eingegraben haben.
„Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt / Und vom Himmel die bleiche Sichel des Mondes blinkt / Zieh’n die Fischer mit ihren Booten aufs Meer hinaus / Und sie legen im weiten Bogen die Netze aus.“
Gerhard Winkler und Ralph Maria Siegel: „Die Capri-Fischer“
In der Wirtschaftswunder-Ära, die vielen Westdeutschen erstmals Urlaubsreisen ans Mittelmeer ermöglichte, erlebte das Lied und mit ihm auch die Insel Capri eine zweite Blüte. Bundeskanzler Helmut Kohl soll seinerzeit den Sänger Max Raabe beauftragt haben, das Lied mit seinem Palastorchester ins Repertoire aufzunehmen.
Capri war Zufluchtsort berühmter Schriftsteller, Künstler und Berühmtheiten, dies besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Oftmals wählten Schriftsteller die Insel als beliebtes Winter- oder Ferienquartier, um sich dort von der zauberhaften Inselwelt neu inspirieren zu lassen. Rainer Maria Rilke lebte zeitweise auf Capri, ebenso Maxim Gorki, Curzio Malaparte, Norman Douglas, Emil von Behring, Francis Bacon, Oskar Kokoschka und viele andere. Die deutschsprachigen Literaten trafen sich damals im berühmten Hotel Pagano oder im Lokal Zum Kater Hiddigeigei. In den 1920er Jahren war Capri auch ein beliebter Treffpunkt der Futuristen, deren Wortführer Filippo Marinetti auf der Insel Quartier bezog. In einer Emigranten-Kolonie sammelten sich zudem russische Exilierte, in deren Mittelpunkt Maxim Gorki stand. Während seiner Capri-Aufenthalte schrieb Maxim Gorki seinen Roman „Die Mutter“.
Mit „Bittersüsse Zitronen“ knüpft der Diogenes Verlag an die historisch verbriefte Italien-Sehnsucht vieler Deutschsprachiger an. In den vordergründig als Krimis aufgemachten Capri-Büchern begegnen wir dem Insel-Polizisten Enrico Rizzi, der meist nur kleinere Delikte aufzudecken hat. In „Bittersüsse Zitronen“ sind allerdings Enrico Rizzi und seine Polizisten-Kollegin Antonia Cirillo bis an ihre Grenzen gefordert. Im Zentrum der Story stehen die berühmten Capri-Zitronen. Die Inselbewohner brauen daraus den weltbekannten Capri-Limoncello. Besonders der einheimischen Familie Constantini ist mit der Herstellung ihres Limoncello ein Gebräu von Weltruf gelungen. Eines Tages jedoch stoppt die Produktion. Die Familie Constantini möchte ihre Produktion nun auf Bio-Zitronen umstellen. Dieses Vorhaben allerdings kommt nicht überall gut an. Als gar Elisa, die Tochter der Familie Constantini, bei einem mysteriösen Unfall ums Leben kommt, muss sich das Ermittler-Duo Enrico Rizzo und Antonia Cirillo mit fatalen Liebschaften herumschlagen und mit mafiaähnlichen Familien-Fehden.
Lesen mit Ferien-Feeling ist bei den Capri-Krimis schon fast Programm. Die italienische Felseninsel aus Kalkstein ist bekannt für ihre Höhlen am Meer. Die bekannteste davon ist die berühmte Blaue Grotte. Ebenso eindrücklich und faszinierend ist die immergrüne Vegetation. Einheimische bezeichnen sie als Macchie, die sich überwiegend aus Rosmarin und Mastixsträuchern zusammensetzt. Terrassen-Kulturen mit Wein-, Öl- und Obstbäumen verleihen der Insel das Flair eines Paradies-Gartens.
Luca Ventura, der Verfasser der Capri-Krimis, schreibt unter einem Pseudonym. In Wirklichkeit lebt der Autor ganzjährig auf Capri und am Golf von Neapel. Dies mag mit ein Grund sein für die Authentizität der Capri-Krimis. Die Landschaft, die touristischen und wirtschaftlichen Probleme der Insel – all das ist wahrhaft und lebensecht beschrieben. Die Krimi-Serie gibt das Leben auf der Sehnsuchts-Insel Capri perfekt wieder und beschert uns beim Lesen südliche Träume auf einer inspirierenden Insel.
Text, Fotos und Radiosendung: Kurt Schnidrig