Der Literatur-Hängert: Zu Besuch bei Paul Schnidrig, dem Präsidenten der Int. Vereinigung für Walsertum

Der Präsident der Internationalen Vereinigung für Walsertum im „Literatur-Hängert mit Kurt Schnidrig“ (Bild rro / Kurt Schnidrig)

«Literatur-Hängert» mit Kurt Schnidrig:

In regelmässigen Abständen trifft unser Literaturexperte Menschen aus der Literaturszene zum ausführlichen Gespräch.

Kurt Schnidrig: Als Präsident der Int. Vereinigung für Walsertum haben Sie einen neuen Wanderweg eröffnet, den Walserweg Gottardo. Wir sind mitten im goldenen Herbst und Wandern ist angesagt. Sicher haben Sie einen guten Wandervorschlag im Gepäck…

Paul Schnidrig:  Den Walserweg Gottardo haben wir am 24. Mai 2024 in Andermatt eröffnet, also am Fusse des Gotthards. Eigentlich wollten wir den Wanderweg auf dem Gotthardpass eröffnen, das war aber wegen Schneefalls nicht möglich. Alle Gemeindevertreter zwischen Binn und Obersaxen waren anwesend. Der Weg führt nämlich von Binn via Pomatt, Bisco Gurin, Andermatt bis Obersaxen. Dazu gibt es 3 Zusatzetappen, die nicht direkt am Walserweg liegen, sie führen bis nach Vals. Von dort führt der Weg auf dem Gebiet der Walservereinigung Graubünden weiter in Richtung Lichtenstein, Triesenberg, Malbun und von hier bis nach Vorarlberg.

Über den Walserweg Gottardo ist auch ein illustratives Buch erschienen, das wohl in jeden Rucksack gehört. Was alles habt ihr da hineinverpackt?

Gemäss unserem Stiftungszweck – Erhalt und Förderung der Kultur des Walsertums – findet sich einen grossen Beitrag über Kultur, Menschen und Brauchtum im Buch. Das Buch im Rucksack mitzuführen, das dürfte allerdings schwierig sein, denn es handelt sich um ein umfangreiches Buch mit fast 300 Seiten. Aus diesem Grund hat der Autor des Buches, Peter Krebs, vorgeschlagen, auf die Wanderung eher eine kleine Broschüre mitzunehmen. Auf dieser Broschüre sind die Wanderwege eingetragen, währenddem das Kulturelle, das Historische, das Brauchtum eher im Buch nachzulesen ist.

Kultur, Brauchtum, Geschichten, Sagen, Legenden – all dies lässt sich auf dem Walserweg miterleben. Du hast den Walserweg selbst unter die Füsse genommen. Was ist dir in Erinnerung geblieben?

Den ganzen Weg habe ich nicht unter die Füsse genommen, aber immerhin einige Abschnitte davon. Was mich am meisten begeistert hat ist die Tatsache, dass das Walsertum effektiv immer noch überall vorhanden ist und auch immer noch gelebt wird. Zum Beispiel im Pomatt, in Formazza, sind die Bezeichnungen und Namen immer noch in deutscher Sprache geschrieben. Die deutsche Sprache, die Walliser Sprache, ist noch vorhanden. Vielleicht nicht mehr bei der jüngeren Generation, aber die mittleren und ältere Generation spricht noch die deutsche Sprache. Die deutsche Sprache ist wohl der einzige gemeinsame Nenner. Deutsch wird auch noch in Greyssoney, im Val de Lys, gesprochen und gelebt. Auch in der Grundschule (Primarschule) wird immer noch eine Stunde in der Woche Deutschunterricht erteilt. In den Walsersiedlungen Alagna und Macugnaga ist die deutsche Sprache weniger mehr zu hören, ist aber immer noch vorhanden. Man wandert auch immer wieder an Gebäuden vorbei, und da fühlt man sich doch auch ans Lötschental und das Saastal und ganz allgemein in unsere Täler zurückversetzt.

Man fühlt sich noch in unsere Oberwalliser Täler zurückversetzt – ist es überhaupt noch möglich, die Verbindung zur Urheimat Oberwallis immer wieder herzustellen?

Ja da gilt es zu unterscheiden. Zum Beispiel haben die Walser in Triesenberg oder Vorarlberg einen starken Bezug zur Urheimat. Zum Beispiel gibt es im Kleinen Walsertal noch den Walser-Bus, da gibt es auch Walser Hotels. Das Walsertum ist wirklich noch vorhanden. Die lokale und regionale Mentalität ist vom Walsertum geprägt. Die Menschen bekennen sich mit Stolz zum Walsertum.

Wie stark ist denn die Verbundenheit zwischen den Walsern und den Wallisern, zwischen den Ausgewanderten und den Daheimgebliebenen?

In den Walser-Gebieten ist die Verbundenheit noch vorhanden. Es sind allerdings regionale Unterschiede festzustellen. Nehmen wir als Beispiel den Triesenberg. Mitten auf dem Dorfplatz von Triesenberg befindet sich als Intarsie das Logo der Walser, die „Turbine“. Vor der Kirche oberhalb des Dorfplatzes wehen die diversen Fahnen: die Fahne von Triesenberg, die Fahne des Fürstenstums und die Walser-Fahne mit der Turbine. Daran erkennt man den grossen Bezug zum Walsertum. Dieser gemeinsame Bezug kommt auch in den verschiedenen Feiern zum Ausdruck. Alle drei Jahre findet das Internationale Walser-Treffen statt, kürzlich fand das Treffen in Ornavasso statt, in der südlichsten und tiefsten Walser-Siedlung. Es ist ja sonst immer die Rede davon, dass die Walser hinaufgestiegen sind, hinauf auf die Höhinen. Die Walser gingen aber auch „in die Tiefe“. Ornavasso ist am Langensee, gleich hinter Mergozzo. Am Walser-Treffen in Ornavasso kamen 15‘000 Menschen zusammen. Über 1000 Teilnehmer:innen waren in Walser-Gruppen organisiert. Das war für uns alle eine grosse Freude. 2019 fand das Walser-Treffen im Lötschental statt. Das Walser-Thema war im Lötschental fast ein ganzes Jahr lang bestimmend. Spezifische Nachmittage und Abende mit Vorträgen fanden statt. Im Juli 2025 wird sich die grosse Walser-Familie in Lech treffen. Dazwischen trifft man sich auch beispielsweise zu den Walser Skimeisterschaften, die sind nicht bloss Plauschrennen, denn da machen auch echte Cracks mit. Auch zu den Walser Spielen trifft man sich regelmässig. Unser Vorstandsmitglied Peter Meier hat die Walser Spiele zu neuem Leben erweckt. Da trifft sich Jung und Alt. Auch die Internationalen Walser Golfspiele sind gefragt. Im Jahr 2025 werden in Susten-Leuk die Internationalen Walser Golfmeisterschaften stattfinden. Auf diese Weise werden wir unserem Stiftungszweck gerecht, davon bin ich überzeugt. Es geht um „Erhalt und Förderung des Walsertums“.

„Erhalt und Förderung des Walsertums“ – wie präsentiert sich dazu der Stand der Forschung? Lange Zeit galt als Grundlage das Standardwerk von Paul Zinsli „Walser Volkstum“. Nach Paul Zinsli kann nicht eben viel als gemeinsame Grundlage des Walsertums angesehen werden. Mit Ausnahme von einigen Besonderheiten in der Walsersprache. Hat sich der Stand der Forschung verändert?

Kurz zusammengefasst: Seit dem Jahr 2019 läuft das Projekt „Immaterielles Kulturerbe UNESCO“. In diesem Projekt ist die Kultur, die Bauweise, die Arbeit, die Arbeitsinstrumente einbezogen. Es handelt sich dabei um eine länderübergreifende Initiative. Da ist Frankreich (Paris) dabei, Italien (Rom), die Schweiz, Vorarlberg und Tirol (Wien). Die Kontakte untereinander sind geknüpft und man tauscht sich aus. Es ist eine echte Herausforderung, all das Wissenswerte zusammenzutragen. Vieles funktioniert allerdings nur mittels Formularen und Bürokratie. Man kann sagen: „Der Amtsschimmel wiehert fürchterlich“. Aber wird sind mit der Forschung auf gutem Weg. Wir rechnen damit, dass 2025/26 das Walsertum in das immaterielle Weltkulturerbe aufgenommen wird. Ansonsten gibt es einige Grundlagenwerke zur Forschung: Paul Zinsli, Enrico Rizzi und viele andere Walserforscher. Zur Walserforschung existiert viel Literatur, viele Bücher. Ebenfalls die Forschung zum Walserdialekt ist auf gutem Weg. Zurzeit ist auch die Ahnenforschung wieder ins Zentrum gerückt. Einiges dazu ist aber noch in Projekte integriert. Besonders die Ahnenforschung, die auf einer DNA-Analyse basiert ist zurzeit angesagt, dabei handelt es sich jedoch um ein heikles Thema, weil einige Walsergebiete noch immer geprägt sind von der Geschichte. Wir möchten damit aber einige Thesen mit wissenschaftlichen Resultaten belegen.

Bestimmt stehen noch viele Herausforderungen an, die auf dich als dem Präsidenten der Internationalen Vereinigung für Walsertum zukommen? Ungelöste Probleme? Spannende Themen?

Wir sind ja eine Internationale Vereinigung für Walsertum, auch wenn wir grundsätzlich alle aus der gleichen Region stammen sind doch die Erwartungen und die Absichten der einzelnen Regionen unterschiedlich. Nicht überall werden die gleichen Prioritäten gesetzt. Beispielsweise ist die Walservereinigung Graubünden professionell aufgebaut, sie bekommt vom Kanton jedes Jahr 300‘000 Franken. Dort wird die Walservereinigung als sprachliche und kulturelle Minderheit betrachtet. Sie wird gleichbehandelt wie die Italienisch sprechende Vereinigung im Kanton Graubünden. Alle anderen Organisationen arbeiten benevol, sie sind im Milizsystem. Zum grossen Teil besteht die Internationale Vereinigung für Walsertum aus Walliser Mitgliedern. Einzelmitglieder stammen auch aus den umliegenden Regionen, aus Frankreich, Oesterreich, Italien. Es sind bei uns auch Vereinigungen tätig. Da gibt es überall Unterschiede. Zwar sind alle zusammengeschlossen in der Internationalen Vereinigung für Walsertum. Für alle gelten die gleichen Statuten: Wir wollen fördern, forschen und die Kontakte untereinander pflegen. Manchmal entstehen Diskussionen zur Frage, ob die Int. Vereinigung zuständig ist oder doch eher die regionale Gruppe. Die Herausforderungen sind sicher da, aber man hat mit vernünftigen Leuten zu tun. Wir besprechen anstehende Probleme zusammen und bis jetzt haben wir immer auch Lösungen gefunden. Eine wichtige Herausforderung besteht auch darin, die jüngere Generation anzusprechen. In einem Umzug vor Tausenden von Zuschauern in einer Tracht sich zu präsentieren, ist vielleicht auch nicht jedermanns Sache. Ein wichtiges Bindeglied ist der Walser Wanderweg, der wie eine Perlenkette die verschiedenen Walser Orte von Galtür im Tirol bis Vallorcine in Frankreich verbindet. Wir sind also eine grosse Familie, die über den gesamten Alpenkamm verteilt ist.

Wie ist das Vorgehen, wenn jemand Mitglied dieser grossen Walser-Familie werden möchte?

Im Internet findet man alle Angaben dazu unter „Wir Walser“. Wer lieber telefonieren möchte, findet mich in Sitten. Man kann sich auch über das Sekretariat anmelden, bei Frau Felizitas Walker in Termen. Mitglied werden kann viele Vorteile haben. Im Mitgliederbeitrag von CHF 40.- ist vieles inbegriffen. Zweimal im Jahr erhält jedes Mitglied ein prächtig illustriertes Heft, gestaltet von Stefan Eggel. Das Heft ist breit gefächert und berichtet aus alles Regionen und Walsergebieten. Als Mitglied wird man auch eingeladen zu Wanderungen und man erhält viele Informationen zur wichtigen Frage: Woher stammen wir eigentlich?

Spannend und interessant! Vielen herzlichen Dank, Paul Schnidrig, Präsident der Internationalen Vereinigung für Walsertum.    

HINWEIS: Der „Literatur-Hängert mit Kurt Schnidrig“ kann in voller Länge nachgehört werden auf pomona.ch/rro.

Text, Bild und Radiosendung: Kurt Schnidrig