Zum Tod von Peter Bichsel: Ein Meister der kurzen Geschichten

Paris war der Sehnsuchtsort von Peter Bichsel – den er bewusst nie besuchte. „Zur Stadt Paris“ heisst eine für Bichsel typische Sammlung von Kurzgeschichten. (Bild: Kurt Schnidrig)

Peter Bichsel ist am Samstag, dem 15. März, gestorben. Am 24. März hätte er seinen 90. Geburtstag gefeiert. Rückblick auf ein persönliches Gespräch.

Generationen von Schülerinnen und Schülern kennen die Kurzgeschichten von Peter Bichsel. Vorab natürlich die „Kindergeschichten“, die Bichsel eigentlich gar nicht für Kinder geschrieben hat. Bichsel gilt als der „Meister der kleinen Form“.

Peter Bichsel war ein gewiefter Erzähler, der abwägt, der mit seinen Geschichten nicht rechthaberisch Wahrheit vermitteln will, der vielmehr Vorschläge unterbreitet. Seine Geschichten lassen Möglichkeiten offen. Ganz im Sinne von: So könnte es gewesen sein. Oder vielleicht war alles auch ganz anders.

Ein persönliches Gespräch

Ich habe mit Peter Bichsel über das Erzählen gesprochen, aber auch über seine Ideen von einer Welt ohne Kriege und ohne das amerikanische Bösewicht-Denken. Ich habe dabei einen politisch engagierten Literaten entdeckt, der weit mehr vorlegt als Kolumnen und Geschichten.

„Erzählen bedeutet, einem Ereignis eine künstliche Zeit geben. Erzählen heisst, ein Menschenleben auf fünf Minuten zusammenschmelzen.“

Was eigentlich macht gutes Erzählen aus? Dies wollte ich vom leidenschaftlichen Erzähler Peter Bichsel wissen. Für ihn sei Erzählen ein Umgang mit der Zeit, erläuterte er mir. Erzählen bedeute, einem Ereignis eine künstliche Zeit zu geben. In der Erzählung könne ein Menschenleben auf fünf Minuten zusammenschmelzen. Unser Alltag sei voller Geschichten, man müsse sie nur erkennen.

Warum er aber in seinen neueren Werken so viele Informationen in Anmerkungen verpacke? „Gute Erzähler brauchen Anmerkungen“, beschied mir da Peter Bichsel schlagfertig. Nur wer abschweife und Assoziationen habe, der sei ein guter Erzähler. Und er erklärte mir an einem Beispiel, was gemeint ist: Wer etwa aus der Wüste komme und von ihr erzähle, der assoziiere und vergleiche die Wüstenlandschaft mit den Verhältnissen auf dem Land bei uns in der Schweiz.

„Ein Betrunkener hat genauso eine Geschichte zu erzählen wie ein Bub, der eine Scheibe eingeschlagen hat.“

Gibt es den amerikanischen „Antichrist“? Seit dem Vietnamkrieg habe ihn nichts mehr so sehr beschäftigt wie der vergangene Serbien-Krieg, gestand Peter Bichsel mir gegenüber. Dahinter stehe die Vorstellung der Amerikaner, dass es einen Antichrist gebe. Früher sei der Antichrist Saddam Hussein gewesen oder Gaddafi, später die Serben. Die Amerikaner führten militärische Straffeldzüge gegen immer neue „Bösewichte“. Persönlich sei er nicht gegen Gewalt, er sei nur gegen Militär, fasste Peter Bichsel seine Einschätzungen zusammen.

„Ich bin nicht gegen Gewalt, ich bin nur gegen Militär. Mit Armeen kann man nichts erreichen, ausser das Böse.“

Als Alternativen zum „Antichrist-Denken“ und zur Kriegsführung der Amerikaner empfahl Peter Bichsel einen Wirtschafts-Boykott. Der funktioniere allerdings nur, wenn alle mitmachten. In der Vergangenheit habe es die Schweiz versäumt, dieses Mittel entschieden einzusetzen, sagte Bichsel.

Ein überzeugter Sozialist

Als Sohn eines Handwerkers in Luzern geboren, wuchs Peter Bichsel ab 1941 in Olten auf. Am Lehrerseminar von Solothurn liess er sich zum Primarlehrer ausbilden, bis 1968 unterrichtete er auf Primarschulstufe. Er ehelichte im Jahr 1956 die Schauspielerin Therese Spörri und wurde Vater einer Tochter und eines Sohnes. Sich selber bezeichnet Peter Bichsel als Sozialist. Zwischen 1974 und 1981 schuf er sich als persönlicher Berater und Redenschreiber für Bundesrat Willi Ritschard einen Namen. Mit dem Schriftsteller Max Frisch war er bis zu dessen Tod eng befreundet.

In die Literaturgeschichte eingehen werden Peter Bichsels Bestseller über die Schweiz wie „Des Schweizers Schweiz“, „Schulmeistereien“ oder „Die Totaldemokraten“. Unvergesslich bleiben die Kürzestgeschichten aus dem Bändchen „Zur Stadt Paris“. Paris war für den Literaten Peter Bichsel ein Sehnsuchtsort. Um sich diese Sehnsucht zu bewahren, hatte er sich geschworen, niemals nach Paris zu reisen.

Hören Sie ein Gespräch mit Peter Bichsel über das Erzählen und über seine Vision von einer Welt ohne Kriege. Ausschnitte aus diesem Gespräch hat Radio Rottu Oberwallis am 18.03.2025 ausgestrahlt. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig)

Text, Bild und Radiosendung: Kurt Schnidrig