Frühlingsgefühle mit Social Distancing

Trotz Frühlingsgefühlen sind Umarmungen in Zeiten von Corona tabu. Das ist fatal, warnen Buchautoren. (Symbolbild: Kurt Schnidrig)

Die nationale Notlage schreibt uns räumliche Distanzierung vor. Zwei Meter Abstand mindestes, dies erfordert das „Social Distancing“. Die Sache mit der Berührung ist aber kompliziert. Ohne Berührung verkümmern wir. Bei einer angenehmen Berührung tanzen die Glückshormone. In Zeiten von Corona leiden viele an ungestilltem Berührungshunger. Der Liebes- und Wonnemonat Mai naht. Wie lassen sich Frühlingsgefühle ausleben?

Berührungshunger. Werden wir von einer anderen Person berührt, zieht dies in unserem Körper eine hochkomplexe Kettenreaktion nach sich. Ein aufmunternder Klaps auf die Schulter kann einen Energieschub freisetzen. Eine liebevolle Umarmung löst Glücksgefühle aus. Angenehme Berührungen benötigen wir wie Luft und Wasser. Was bei einer Berührung im Körper passiert, lässt sich medizinisch messen: Die Herzfrequenz sinkt, die Blutgefässe weiten sich, die Atmung wird tiefer. Die Literatur zum Thema ist umfangreich und hoch spannend.

„Ich fühle, also bin ich“. In seinem Buch „Homo hapticus“ beschreibt der Hirnforscher Martin Grunwald, dass wir uns unserer körperlichen Existenz erst durch den Tastsinn bewusst werden. Ums Jahr 1640 herum hatte der Philosoph René Descartes den Grundsatz formuliert „Ich denke, also bin ich“ (lat. cogito ergo sum). Grunwald fordert nun, dass dieser philosophische Grundsatz abgewandelt werde in „Ich fühle, also bin ich“. (Martin Grunwald: Homo hapticus. Warum wir ohne Tastsinn nicht leben können. Droemer, 2017). Der Buchautor Bruno Müller-Oerlingshausen erteilt gar Berührungsseminare. Er fordert in seinem Buch eine Berührungslehre und das Ausbildungs-Fach Berührungskunde. „Weil Körperkontakt kein selbstverständliches Kommunikationsmittel mehr ist, brauchen wir eine Berührungskunde, und wir müssen uns darüber verständigen, wie eine gute Berührungskultur aussehen kann.“ (Bruno Müller-Oerlinghausen u.a.: Berührung. Warum wir sie brauchen und wie sie uns heilt. Ullstein, 2018).

Räumliche Distanzierung und Hunger nach Berührung. Was macht eine lang dauernde Liebesbeziehung aus? Gibt es ein Geheimrezept für eine ewige Liebe? Im Buch „Ja, ich will“ aus dem Wörterseh Verlag erzählen erfolgreiche Paare über ihre langjährige Beziehung. Ein gemeinsamer Nenner ist die Balance zwischen räumlicher Distanzierung und der Sehnsucht nach Berührung und Umarmung. Krisenzeiten können auch stark machen und sie lassen Ehepaare manchmal näher zusammenrücken. Die ewige Liebe ist aber nicht einfach nur Zauber, Magie oder ein Wunder. Sie ist vielmehr das Ergebnis einer intensiven Beziehungsarbeit, die auch ein ausgewogenes Verhältnis von Nähe und Distanz mit einschliesst (Ueli Oswald: Ja, ich will. Wenn Liebe ewig währt. Wörterseh Verlag, 222 Seiten).

Wo die Liebe hinfällt. Es ist eine längst bekannte Tatsache, dass die Liebe dort hinfällt, wo sie will, und dass Amor seine Pfeile abschiesst wann er will und auf wen er will. Davon zeugen verbotene Liebschaften. Gabriella Loser Friedli ist Präsidentin des Vereins der vom Zölibat betroffenen Frauen. In ihrem Buch mit dem Titel „Oh, Gott!“ erzählt sie die Geschichten von Frauen, die einen Priester lieben. Über 500 Priester in der Schweiz sollen eine heimliche Geliebte haben und Hunderte von Kindern wurden gezeugt. Die Autorin beschreibt, wie Frauen als Geliebte von Geistlichen im Geheimen leben müssen und wie sie Angst und Not erleben, ausgelöst von einer verbotenen Liebe. (Gabriella Loser Friedli: Oh, Gott! Kreuzweg Zölibat. Wörterseh Verlag, 207 Seiten.) Was die Geschichten eindrücklich belegen ist die Tatsache, dass ein äusserst schmaler Grat zwischen räumlicher Distanzierung und der Sehnsucht nach Berührung beschritten werden muss.

Hören Sie meine Sendung „Literaturwelle“ über Frühlingsgefühle, über ewige Liebe und über verbotene Liebe. (Archivbeitrag aus dem Jahr 2014).

Text, Foto und Audio-Beitrag: Kurt Schnidrig