
Das Schreiben von Kolumnen ist zur Zeit eine recht angesagte literarische Tätigkeit. Dabei hat die Kolumne erst recht spät in unsere deutschsprachige Zeitungslandschaft gefunden. Wie so vieles andere auch, ist auch die Kolumne aus den USA zu uns über den grossen Teich herübergeschwappt. Einer, der sich bestens auf das Kolumnen-Schreiben versteht, ist der derzeit wohl angesagteste Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss. Ausgezeichnet mit zahlreichen Literatur-Preisen, darunter auch mit dem renommierten Büchner-Preis, übernimmt er nun als Schriftsteller eine wichtige gesellschaftspolitische Rolle. Mit seinen Kolumnen in verschiedenen Printmedien löst er nicht selten Diskussionen aus, weil sie Baustellen und vermutete Skandale in unserem Gesellschafts-System offenlegen. Sie sind erschienen im Essay-Band „Die Krone der Schöpfung“.
Gibt es ein Recht, sich einzumischen? Ist es ein Erfordernis, dass heutige Autoren und Literaten auch gesellschaftlich aktiv werden? Auf diese meine Frage wartete Lukas Bärfuss mit einem Exkurs über die Pflichten und Rechte der Bürgerinnen und Bürger auf. „Das Erfordernis, gesellschaftlich aktiv zu werden, besteht nicht nur für den Schriftsteller, sondern für jede Bürgerin und für jeden Bürger in einer freiheitlichen Demokratie. Man soll sich Fragen stellen zu einer Situation, in der man lebt.“
„Die Frage ist, ob die Welt, in der wir leben wollen, wirklich die Welt ist, die wir haben wollen. Oder müssen wir etwas verändern? Was ist meine Aufgabe als Schriftsteller? Ich bin Bürger von diesem Land, ohne dass man mich gefragt hätte. Bevor ich einen Namen hatte, hatte ich schon eine Nationalität. Daraus leite ich ein Recht ab, sich einzumischen.“
Lukas Bärfuss im Gespräch mit Kurt Schnidrig
Der Schriftsteller als Experte für wichtige gesellschaftliche Fragen, dieser Anspruch ist nicht neu. Schriftsteller wie etwa Georg Büchner – der bedeutendste deutsche Literaturpreis trägt seinen Namen – hat gesellschaftspolitisch eine Spur hinterlassen, in die Büchner-Preisträger Lukas Bärfuss nun getreten ist. Im Gespräch mit mir wagte er einen Rückblick auf die Monate der Pandemie, er verortete die Schweizer Bevölkerung in ein „geistiges Réduit“ und forderte für unser Land ein Klima, das Kritik und Diskussion ermöglicht. Einen bildungspolitischen Skandal habe der Lehrplan 21 heraufbeschworen, indem in der obligatorischen Schule vielerorts kaum mehr Bücher gelesen würden. Damit würden gemeinsame Lektüre-Erfahrungen fehlen und wichtige Kompetenzen gingen verloren. „Pessimismus ist eine falsche Haltung“, fasste der Schriftsteller Lukas Bärfuss nach dem Gespräch mit mir zusammen. Er verweist diesbezüglich auch auf fortschrittliche Ideen und Projekte. (Das Gespräch mit Lukas Bärfuss können Sie, liebe Leserin, lieber Leser, als Podcast am Schluss dieses Beitrags in voller Länge hören.)

Georg Büchner (1813-1837) war eine multiple Persönlichkeit. Der gebürtige Hesse war deutschsprachiger Autor, Mediziner, Naturwissenschaftler und Revolutionär. Im Juli 1836 legte er an der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich seine Dissertation vor. Am 3. September selbigen Jahres ernannte ihn die Universität Zürich zum Doktor der Philosophie. Büchner zog für seine erste Probevorlesung nach Zürich um. Bevor er noch weitere Vorlesungen halten konnte, ereilte ihn anfangs 1837 die heimtückische Krankheit Typhus. Hatte er in seiner Rolle als Mediziner allzu leichtfertig mit wissenschaftlichen Präparaten experimentiert? Die Büchner-Verehrer sind bezüglich seines einsamen Ablebens geteilter Meinung. Im Februar 1837 starb Georg Büchner im Beisein seiner Verlobten Wilhelmine und seiner Wohnungsnachbarin Caroline Schulz. Seine gesellschaftspolitischen Schriften und Werke (vgl. insbesondere „Woyzeck“, „Leonce und Lena“) lassen ihn bis heute zu einem Vorläufer und Ideengeber für gesellschaftlich aktive Schriftsteller werden.

Nina Kunz – ein Gegenbeispiel. Sie will keine Expertin sein. Viel lieber möchte sie die Leserschaft an ihrer Unwissenheit teilhaben lassen. Dafür wurde sie vom Branchen-Magazin „Schweizer Journalist“ zur Kolumnistin des Jahres 2020 gewählt. „Ich denk, ich denke zu viel“, so heisst ihr Kolumnen-Band, der soeben erschienen ist. Nina Kunz kommt vom Tagebuch-Schreiben her. Sie zweifelt an unserer Welt und sie zweifelt auch an sich selber. Sie schreibt über offene Fragen und über ihre Ängste.
Während Lukas Bärfuss als Kolumnist die Meinung vertritt, dass ein Schriftsteller auch ein Experte für gesellschaftliche Fragen sein soll, möchte die Journalistin Nina Kunz explizit keine Expertin sein. Tatsächlich dürfen Kolumnisten alles, ihr Text wird in der Regel von der Redaktion vor einer Veröffentlichung nicht bearbeitet. Eine Kolumne wird ungefiltert abgedruckt, die Redaktion identifiziert sich nicht mit der Meinung der Kolumnistin oder des Kolumnisten.
Text, Foto und Radiosendungen: Kurt Schnidrig