Warum wir eine genderfluide Sprache brauchen

„Ich erlebe Gewalt, weil ich queer bin und eine andere Sprache brauche“, sagt Simon Froehling. (Bild: Kurt Schnidrig)

Wir brauchen eine genderfluide Sprache, die möglichst vielen Identitäten und Geschlechtern dient. Eine geschlechtergerechte Sprache ist ein wichtiger Aspekt, um die Gleichbehandlung der Geschlechter zu fördern. Eine Sprache, die genderfluid ist, könnte dafür sorgen, dass Menschen offener über Geschlechter-Rollen denken.

Sprache schafft Wirklichkeit, dies ist ein allseits anerkannter wissenschaftlicher Befund. Viele Menschen sind sich kaum bewusst, dass es ausser Mann und Frau auch noch intersexuelle Menschen gibt. Wir haben unsere Sprache der Welt anzupassen, in der wir leben. Und weil auf dieser Welt nicht nur Menschen leben, die sich als Mann oder Frau definieren, ist meines Erachtens der gezielte und sinnvolle Einsatz von Gender-Zeichen die richtige Wahl.

Die Diskussion, die auch in diesem Sommer wieder von Journalist*innen vom Zaun gebrochen wird, zielt an der modernen Sprachwirklichkeit vorbei. Was zählt, das ist einzig der Gebrauch einer genderfluiden Sprache, die möglichst vielen Identitäten und Geschlechtern dient.

Warum ist ein massvolles Gendern wichtig? Mit einer genderfluiden Sprache lassen sich alle Identitäten und alle Geschlechter gleich behandeln. Bereits vor mehr als sieben Jahren wurde nebst dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht eine dritte Geschlechtsoption postuliert und eingeführt. Es ist dies die Option „divers“. Bis heute gibt es aus der Wissenschaft allerdings kein abschliessendes Votum dazu. Wohl auch deshalb füllen Journalist*innen seither jährlich zur Saure-Gurken-Zeit die öden Zeitungsspalten mit der „Gender-Problematik“.

Die Auseinandersetzungen und der Widerstand gegen das Gendern drehen sich vor allem um Sonderzeichen. Genderzeichen stossen auf Kritik. Dabei ist den Möchtegern-Sprachpuristen besonders der Genderstern ein Dorn im Auge. Warum eigentlich? Ist ein Sternchen „schlimmer“ als ein Doppelpunkt? Ist Schüler*innen „schlechter“ als Schüler:innen? Ist es gegenüber diversen Persönlichkeiten, die unter einer aus ihrer Sicht „falschen“ Anrede leiden, nicht schlicht und einfach angebracht, als ein Akt des Anstandes und der Toleranz in einem Text zumindest gelegentlich und massvoll ein Genderzeichen zu setzen?

Das Gendersternchen gelangt bei queeren Schreibenden konsequent zur Anwendung. Sie schreiben also über die „Freund*innen“ oder über die „Ärzt*innen“ usw. Zumindest wäre es doch für alle Schreibenden angebracht, den Genderstern zumindest in der Anrede zu gebrauchen. Die Anrede „Herr und Frau“ muss zwingend ergänzt werden mit dem Geschlechts-Merkmal „divers“. Dies zumindest hat nun bereits ein deutsches Gericht verfügt. Das Urteil der Richter*innen am Gerichtshof von Frankfurt am Main könnte wegweisend sein. Eine nicht-binäre Person war an das dortige Gericht gelangt mit der Klage, in der Deutschen Bahn würden als Anreden lediglich „Herr und Frau“, bzw. „Damen und Herren“ gebraucht. Das Gericht hat nun entschieden, dass die Deutsche Bahn diese Anreden zwingend ergänzen müsse mit dem Geschlechts-Merkmal „divers“.

Was heisst „queer lesen und schreiben“? „Queer“ schreiben vor allem queere Persönlichkeiten, das sind non-binäre Persönlichkeiten, die weder Mann noch Frau sein möchten, sie bezeichnen sich als „divers“. An Literaturfestivals und an Lesungen fordern sie eine Sprache, die gendergerecht und fluid ist, eine Sprache also, die allen Persönlichkeiten gerecht wird, also auch den queeren Persönlichkeiten.

Eine ganz neue Literatur- und Schreibsprache wird zurzeit von queeren Persönlichkeiten etabliert. In einem queeren Text hat es vor allem keine oder wenig patriarchalisch geprägte Ausdrücke. Besonders die Pronomen in der deutschen Sprache sind nun mal tatsächlich patriarchalisch, also von Männern geprägt und auf Männer ausgerichtet. Sowas stört Menschen mit einer anderen geschlechtlichen Ausrichtung. Zum Beispiel das Pronomen „man“ wird dann ersetzt durch „mensch“, statt „niemand“ heisst es dann „niemensch“ oder „jemand“ wird ersetzt durch „jemensch“. Das tönt dann im Satzgefüge etwa folgendermassen: „Ich spreche mit niemenschem. Ich fürchte mich immer vor der Möglichkeit, nachts aufzuwachen und nach jemensch anderem zu riechen.“

Simon Froehling ist ein Schweizer Autor, und er ist eine queere Persönlichkeit. Erlebt habe ich ihn an der Basler Buchmesse. Sein queerer Roman „Dürrst“ ist an der Buchmesse unter die besten fünf Bücher des Jahres 2022 gewählt worden, das Buch kam auf die Shortlist des Schweizer Buchpreises. In Basel hatte Simon Froehling versucht, die Vorurteile zu entkräften, die immer noch gegen queere Persönlichkeiten in Umlauf sind.

„Ich würde so gern mal über Sprache sprechen und nicht nur darüber, mit wem diese oder jene Figur schläft.“

Simon Froehling

Queere Persönlichkeiten hätten es satt, bei ihren Lesungen lediglich über HIV und AIDS zu sprechen und zu lesen, war an der Basler Buchmesse zu vernehmen. Simon Froehling ist am 30. August auch im Oberwallis, im Tellenhaus in Ernen, zu erleben.

Der queere Roman „Dürrst“ von Simon Froehling erzählt von einem jungen Mann aus der Kunst- und Schwulenszene. Der Protagonist heisst Andreas Durrer, alias Dürrst, und der leidet unter einer bipolaren Störung, einer affektiven Störung also, die sich vor allem in starken Stimmungs-Schwankungen äussert. Dürrst blickt mit schonungsloser Offenheit auf sein Leben zurück, auf ein Leben, das geprägt ist von seinen Erfolgen als Künstler, aber auch von flüchtigen Sexbekanntschaften und von psychischen Abstürzen.

Der Roman „Dürrst“ erlaubt uns einen Einblick in die Lebensrealität eines schwulen Mannes. Simon Froehling formuliert heftig, der Roman ist nichts für schwache Nerven. Immer wieder aber blitzt auch das Schöne und Wertvolle auf, und in diesen Passagen lässt uns der Autor auch an seinem zarten und feinfühligen Schreibstil teilhaben.

Hören Sie dazu den Podcast aus der Sendung Literaturwälla. (Quelle: rro / Kurt Schnidrig / Monja Burgener)

Text, Bild und Radiosendung: Kurt Schnidrig