Auf der Suche nach Weihnachten. Eine literarische Reise an die Nordsee.

Am Schreibtisch im Arbeitszimmer des Dichters Theodor Storm in Husum. (Bild: Schnidrig)

Von Hamburg aus reisen wir der Nordseeküste entlang bis zur Stadt Husum, sie ist ganzjährig eine Weihnachtsstadt. Hier lässt sich verfolgen, wie sich das Weihnachtsfest mit seinen verschiedenen Bräuchen von Norwegen über Norddeutschland bis zu uns und weiter bis in die südlichen Teile Europas ausgebreitet hat.

Die Stadt Husum an der Nordseeküste ist die Heimatstadt des Weihnachts-Dichters Theodor Storm (1817-1888). Wir gehen zuerst vom Alten Rathaus zum Geburtshaus Theodor Storms.

Zeit seines Lebens hatte Theodor Storm ein besonders inniges Verhältnis zur besinnlichsten Zeit des Jahres. Aus den Briefwechseln des Dichters geht hervor, welche Bedeutung im Jahreslauf dem Weihnachtsfest zukam. Theodor Storm schrieb:

„Wie unendlich gemütlich war das einst vor Jahren, zu Hause, wenn in der grossen Stube die Lichter angezündet waren, der Teekessel sauste, die braunen Kuchen und Pfeffernüsse standen auf dem Tisch, Vater und wir Kinder warteten, während drüben in der Weihnachtsstube der Weihnachtstisch arrangiert wurde. Und mir ist, als habe an diesem Abend die Dielenlampe besonders hell gebrannt.“ (Aus einem Brief Storms an seine Eltern aus dem Jahr 1858)

Im Poetenstübchen des Dichters Theodor Storm in Husum an der Nordsee. (Bild: Schnidrig)

Sozialkritik an Weihnachten

Theodor Storms grosses Verdienst ist es, dem Weihnachtsfest neben kindlich-zauberhaften auch sozialkritische Aspekte zugedacht zu haben. In der Weihnachtszeit auch ein Herz für die Menschen auf der Schattenseite des Lebens zu haben, dies haben uns Dichter wie Storm gelehrt. Sein berühmtes Gedicht „Weihnachtsabend“, entstanden 1852/53, soll uns an die Verantwortung erinnern, die wir – inmitten des pompösen Weihnachtsgeschäfts – gegenüber den mittellosen und bedürftigen Mitmenschen haben:

«Die fremde Stadt durchschritt ich sorgenvoll. Weihnachten war’s; durch die Gassen scholl der Kinderjubel und des Markts Gebraus. Und wie der Menschenstrom mich fortgespült, drang mir ein heiseres Stimmlein in das Ohr: „Kauft lieber Herr!“ Ein mageres Händchen hielt feilbietend mir ein ärmliches Spielzeug vor. Beim Laternenschein sah ich ein bleiches Kindergesicht. Doch hat wohl keiner ihm Gehör verliehen. Und ich? – War’s Ungeschick, war es Scham, am Weg zu handeln mit dem Bettelkind? Eh meine Hand zu meiner Börse kam, verscholl das Stimmlein hinter mir im Wind. Doch als ich endlich mit mir allein war, erfasste mich die Angst im Herzen so, als säss mein eigenes Kind auf jenem Stein und schrie nach Brot, indessen ich entfloh.»

Weihnachtsgeschichten

Ein zauberhafter Abendspaziergang durch die weihnachtlich geschmückten Gassen und Plätze von Husum holt die friedliche Weihnachts-Stimmung tief aus unserer früheren Kinderseele herauf. Vom Markt geht’s hinüber zu Storms Geburtshaus, weiter zum Alten Rathaus bis zur Wasserreihe mit dem Storm-Museum, wo uns Geschichtenerzähler erwarten. Ihre Weihnachtsgeschichten verströmen eine harmonische Stimmung, eine Komposition aus Romantik, Optimismus, Wunder, manchmal auch aus Sentimentalität und Melancholie. Dabei sind es oftmals die Geschichten von früher, die an Weihnachten wieder angesagt sind.

Vor Theodor Storms Geburtshaus in Husum. (Bild: Schnidrig)

In der Weihnachtsstube

In Storms Geburtshaus begeben wir uns in die Stube. Kunstvoll gebundene Bücher laden zur Lektüre ein. Traditionelle Weihnachtsgeschichten und -gedichtesorgen beim Lesen für eine romantische Stimmung in der festlich geschmückten Stube. Wenn die Lichter am Baum aufleuchten, wenn die braunen Kuchen und die Pfeffernüsse auf den Tisch kommen, wenn der Weihnachtstisch arrangiert wird, dann ist dies der stimmige Rahmen, um die weihnachtlichen Texte vorzulesen. Sie erzählen von zwischenmenschlicher Wärme, von Solidarität und vom Frieden, der zumindest in der Weihnachtszeit in allen Herzen wohnen sollte:

Von drauss vom Walde komm ich her; / Ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr! / Allüberall auf Tannenspitzen / Sah ich goldene Lichtlein sitzen; / Und droben aus dem Himmelstor / Sah mit grossen Augen das Christkind hervor. / Die Kerzen fangen zu brennen an, / Das Himmelstor ist aufgetan, / Alt‘ und Junge sollen nun / Von der Jagd des Lebens einmal ruh’n; / Und morgen flieg ich hinab zur Erden, / Denn es soll wieder Weihnachten werden! (Theodor Storm, 1817-1888)

Der erste und älteste Weihnachtsbaum Europas im Weihnachtsmuseum von Husum. (Bild: Schnidrig)

Rund um den Weihnachtsbaum

Unser Spaziergang durch Husum endet im Weihnachtsmuseum. Ein Prunkstück darin ist der erste Weihnachtsbaum Europas. Am Vorweihnachtsabend des Jahres 1815 soll in Weimar ein gewisser Wilhelm Hoffmann den weltweit ersten Weihnachtsbaum aufgestellt haben. Dieser erste öffentlich geschmückte Weihnachtsbaum sollte ein Geschenk sein für all die armen Kinder, die damals ohne ein eigenes Zuhause auf der Strasse lebten.

Obschon die katholische Kirche über Jahrhunderte einzig der Weihnachtskrippe einen wichtigen Symbolgehalt für das Weihnachtsfest zugemessen hatte, übernahm sie dann doch mit der Zeit den Brauch, einen Weihnachtsbaum aufzustellen. Erstmals war dies der Fall in den katholischen Regionen Deutschlands und Österreichs. Eine jüdische Gesellschaftsdame war es, Fanny von Arnstein, die 1814 in Wien den ersten Weihnachtsbaum aufgestellt hatte. Er befindet sich heute im Weihnachtsmuseum in der norddeutschen Stadt Husum.

Das Weihnachtsmuseum in Husum an der Nordsee. (Bild: Schnidrig)

Der Weihnachtsbaum oder Christbaum ist Requisite in so mancher Weihnachtsgeschichte. In der deutschen Literatur ist es selbstredend der Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe, der den Weihnachtsbaum in seinem Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ erstmalig erwähnt. Der Briefroman ist 1774 erschienen.

Der Protagonist in Goethes Briefroman heisst Albert. Er besucht am Sonntag vor Weihnachten die von ihm angehimmelte Lotte. Albert taucht im Liebesgeflüster mit seiner Geliebten ein in Kindheitserinnerungen. Er schwelgt in Erinnerungen an Zeiten, da er – selber noch ein Kind – vor der verschlossenen Stubentür im elterlichen Haus ungeduldig ausharrte, bis das Christkind endlich von innen öffne. Als es dann endlich so weit war und die Stubentür plötzlich wie von Zauberhand weit offenstand, da bot sich ihm ein Anblick, der seine Kinderseele prägte: Die Erscheinung eines „aufgeputzten Baumes“ mit Wachslichtern, Zuckerwerk und Äpfeln versetzte ihn – einer Geliebten gleich – in paradiesisches Entzücken.

Nussknacker und Mausekönig

Ein Jahr später, 1816 also, war es dann soweit: Erstmals erschien der lichterglänzende, mit goldenen Äpfeln und Bonbons geschmückte Tannenbaum inmitten der Weihnachtsbescherung. Dazu beigetragen hatte ein Märchen von E.T.A. Hoffmann. Das Märchen heisst „Nussknacker und Mausekönig“ und ist bis heute das Weihnachtsmärchen schlechthin geblieben.

Die Kirche stand lange Zeit mit dem Weihnachtsbaum auf Kriegsfuss. Die römisch-katholische Kirche scheute jahrhundertelang vor allem zurück, was heidnischen Ursprungs war. Stattdessen favorisierte die katholische Kirche bis zum Ende des 19. Jahrhunderts einzig die Krippe als Symbol für die Weihnachtszeit. In kirchlichen Zeiten herrschte die Meinung vor, dass der Weihnachtsbaum dem heidnischen Mithras-Kult entstamme. Im Mithras-Kult ehrten und opferten die Menschen in früheren Zeiten zur Wintersonnenwende dem Sonnengott.

Der Mithras-Kult fand später dann auch Zuspruch in den nördlichen Gegenden Europas. Da wurden im Winter mit Vorliebe immergrüne Tannenzweige ins Haus gehängt. Die Menschen waren abergläubisch und erhofften sich vom Grünzeug, dass es das Eindringen und Einnisten von bösen Geistern erschweren werde. Das Tannen-Grün sollte aber auch immer die Hoffnung auf eine Wiederkehr des Frühlings nach all dem Winterleid am Leben erhalten.

Auf den Spuren des Weihnachtsdichters Theodor Storm in Husum an der Nordsee. (Bild: Schnidrig)

Die weihnachtliche Verführung

Was nun aber sollen die Christbaumkugeln bedeuten, mit denen wir unsere Weihnachts-Tannen schmücken? Urheberin und Ideengeberin für die Weihnachtskugeln am Baum ist die katholische Kirche – und dies trotz jahrhundertelanger Ablehnung des Weihnachtsbaums. Die Christbaumkugeln sollen an die Früchte am „Baum der Erkenntnis“ erinnern. Der „Baum der Erkenntnis“ stand bekanntlich im Paradies. Die Eva war es, die verbotenerweise mit einem Apfel vom „Baum der Erkenntnis“ den liebestollen Adam verführte.

Weil nun aber der 24. Dezember bis zur Liturgie-Reform durch das Zweite Vatikanische Konzil der liturgische Gedenktag Adam und Evas war, hängt Evas Apfel vom paradiesischen „Baum der Erkenntnis“ nun gleich in multipler Form vervielfacht als Christbaumkugeln an unseren Weihnachtsbäumen.

Nun ja, Liebe kannte schon damals im Paradies keine Grenzen. Die Verführung Adams durch Eva mit Hilfe eines Apfels wurde von der katholischen Kirche als „die Erbsünde“ verdammt. Unsere Generation kann ein Weihnachtslied davon singen. Kaum auf der Welt, erhielt ich – wie so viele andere aus meiner Generation auch – die sogenannte „Nottaufe“, um – im Falle eines frühen Kindstodes – vor einer direkten Fahrt runter in die Hölle gewappnet zu sein. Gemäss dem christlichen Glauben wurde die Erbsünde durch die Geburt Jesu Christi, derer an Weihnachten gedacht wird, und durch seinen Kreuzestod wiedergutgemacht.

Das Fest der Liebe

Eva verführte Adam mit einem Apfel, der sich später mit Hilfe der katholischen Kirche auf wundersame Weise zur Christbaum-Kugel verwandelte. Was geblieben ist, das ist die Liebe in all ihren Facetten, zu Weihnachten gar als „Das Fest der Liebe“. Die Liebe ist das ganz grosse Thema in allen Weihnachtsgeschichten.

Besonders zur Weihnachtszeit schiessen Amor und seine Engel bevorzugt ihre Pfeile in die Herzen der Menschen. Der „Sturm der Gefühle“ bildet die Stimmungslage in so mancher Geschichte zu Weihnachten, unterstützt und verzaubert durch die vielen bunten Lichter, und durch den Duft von Zimt und Lebkuchen.

Klassische Geschichten zur Weihnacht oder doch lieber moderne Geschichten? Hören Sie dazu den Podcast aus der Sendung Literaturwelle von Radio Rottu Oberwallis. (Quelle: rro / Jelena Kalbermatten / Joel Bieler / Kurt Schnidrig)

Dieser Bericht über eine Literarische Reise nach Husum an der Nordsee wurde auch auf pomona.media / rro veröffentlicht.

Text, Bilder und Radiosendung: Kurt Schnidrig